Long time no see

Jahrelang lag diese Seite brach, aus verschiedensten Gründen.

Viele Themen haben sich weiterentwickelt. Und ich bin immer wieder diesem Bild, das mir schon im Jahre 2014 immer wieder über den Weg gelaufen ist, begegnet.

screenshot_2019-01-04 armut in deutschland – wenn es nicht mal für das nötigste reicht_

Es ist eines dieser Stockphoto-Bilder*, die in – überarbeiteten – Redaktionen immer wieder benutzt werden – in diesem Fall von der dpa. Ich habe die vergangenen Jahre die “Karriere” dieses Bildes nicht mehr verfolgt, vielleicht ergibt sich die Chance das ein wenig nachzurecherchieren.

Es gibt noch andere Bilder die immer wieder verwendet werden, wie z.B. das Titelbild dieses Artikels: https://www.dw.com/de/armut-im-aufw%C3%A4rtstrend/a-46720889 . Dieses

2014 hat mich die unhinterfragte Verbindung von Flaschensammeln und Armut hierauf aufmerksam gemacht. Auch Aspekte wie das offentlichtliche Alter, das Greifen in den Müll. Aber auch die Plastiktüten sind ein klassisches Element dessen, wie wir uns FlaschensammlerInnen vorstellen. Es ist ebenfalls wichtig zu erwähnen, dass die auf diesen Fotos abgebildeten Menschen nicht identifizierbar sind, was erst einmal begrüßenswert ist. Andererseits bleibt Armut damit auch anonym, kann, ja muss interpretiert werden. Armut ist durchaus Realität für flaschensammelnde Menschen hierzulande. Eine weitere Analyse dieser Bilder, in denen so verschiedene, scheinbar logisch zusammenhänge Themen zusammenfallen, würde mich reizen.

* Die Sendung des WDR ist durchaus sehenswert: https://www.planet-wissen.de/video-armut-in-deutschland–wenn-es-nicht-mal-fuer-das-noetigste-reicht-100.html

Wann wird aus früh zu früh?

Seit der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands bin ich vor Ort oder von meinem Wohnort in die Aufräumarbeiten meiner Eltern eingebunden gewesen. Heute, knapp fünf Wochen nach der Flut, führe ich das übliche Abendgespräch mit ihnen. Darin geht es meist um Handwerker die – nicht – aufgetaucht sind, HelferInnen, die Prosecco zum Mittag wollten – den meine Mutter bei Penny besorgt hat – oder Nachbar*inn, mit denen es mal schwierig und mal herzlich ist. Es hat sich eine gewisse Routine eingestellt und die Probleme vom Beginn dieser Katastrophe treten in den Hintergrund. In einem Nebensatz erwähnte meine Mutter dann aber noch einen der immer noch omnipräsenten Schrotthändler, der den Handwerkern die alten Heizkörper die sie raus trugen sofort abnehmen wollte. Das Ding war schnell geklärt, die Handwerker brauchten sie genauso wenig wie meine Eltern und der Händler hatte seinen Wagen voll. Diese kleine Episode erinnert mich allerdings an Gespräche aus den vergangenen Wochen, in denen es immer wieder darum ging, dass es neben den vielen uneigennützigen Helfer*innen auch sehr schnell Menschen mit Geschäftssinn oder schlicht wenig Feingefühl auf die von der Flut Betroffenen aufmerksam geworden sind. So wütend mich diese Menschen, denen ich teils selbst begegnet bin, gemacht haben, stelle ich mir mit etwas Abstand tatsächlich die Frage, wann ein sonst normales Handeln – wie z.B. ein Angebot für ein Haus zu unterbreiten – nach solch einer Katastrophe – wieder – legitim sein könnte. Wann ist der richtige Zeitpunkt um mit Menschen, die im Laufe einer Katastrophe viel erlebt und noch mehr verloren haben, Themen anzusprechen oder Angebote zu machen? 

Wie schon der erste Tag nach der Flut gezeigt hat, entscheidet so manche Person diese Frage für sich  sehr schnell. Denn des Einen Krise ist ja bekanntlich des Anderen Chance. Schon am 15.07. – da war das Wasser noch nicht ganz abgeflossen – kursierten erste Anzeigen bei ebay nach Schrottautos in Bad Neuenahr. Inzwischen sind diese Anzeigen verschwunden, vor ein paar Tagen konnte ich noch drei lokal speichern (siehe Bild 1).

Links ist ein weinrotes Mittelkalsseauto als Ausschnitt eines größeren Fotos abgebildet. Das Auto steht fast bis zu den Fensterscheiben im Wasser.
Von der Mitte bis zum rechten Rand sind Ort (Bad Neuenahr), Gesuch (Ankauf von Autos in Rheinland-Pfalz, Wasserschade, Hagelschaden + weiterer Text) und weitere Angaben (unter anderem Preis von 8999€) angegben.

An diesem ersten Donnerstag nach der Flut war ich allerdings zutiefst irritiert; und auch etwas wütend. Ich fand es furchtbar unsensibel, ja geradezu pietätlos dass es Menschen gab, deren erster Gedanke den Schrottautos im Katastrophengebiet galt und nicht den Menschen. Ich empfand es als zu früh, was da online geschah. Mit etwas Abstand kann ich mir vorstellen, dass sich darin auch meine eigene Ohnmacht ausgedrückt hat noch nicht vor Ort bei meiner Familie zu sein. Vielleicht steckte mir auch noch der frühe Morgen in den Knochen, während dem wir (meine Schwester, ihr Mann, meine Cousine und ich) eine gute Stunde versuchten meine Eltern ausfindig zu machen – letztlich erfolgreich. Der Abstand hilft mir auch klar zu machen, dass es kaum jemand der selbst betroffen gewesen ist gesehen haben dürfte in diesen ersten Tagen – denn Internet und Mobilfunk waren vielerorts zusammengebrochen. Der erwachende Geschäftssinn mancher Mitmenschen mag also unangemessen oder zu früh gekommen sein. Aber diese “Offerten” werden sie kaum einmal erreicht haben. Alles gut also? Nicht ganz. Denn es vergingen nur wenige Tage, da traten solche “Geschäftsleute” auch schon an Bekannte und Verwandte vor Ort heran. Dazu muss man wissen, dass gegenüber meinem Elternhaus Dutzende Gebrauchtwagen eines Händlers standen, die die Flut in den Gärten des Viertels verteilt hatte. Überall lagen Schrottautos, gerne auch ineinander verkeilt (wie hier im Garten meiner Eltern).

Aus mir unbegreiflichen Gründen wirkte dieses „Angebot“ auf diese Händler*innen sehr anziehend. Und so kam es, dass während des ersten Wochenendes nicht wenige Anwohner*innen immer wieder in ihren Aufräumarbeiten unterbrochen wurden um sich mit diesen Kaufinteressent*innen für Autos, die ihnen meist gar nicht gehörten und die sie nicht weggeben durften, auseinanderzusetzen. So manchen hat das genervt, aber von lautstarken Auseinandersetzungen habe ich zumindest nichts erzählt bekommen. Die meisten meinten sie hätten diese Menschen einfach fortgeschickt. Insofern war das Interesse der Autohändler*innen zwar fehlgeleitet und verfrüht, aber sie haben damit außer etwas zu nerven niemandem geschadet. Es gibt Schlimmeres.

Schlimmeres wie z.B. Katastrophentourist*innen. Von Ihnen habe ich selbst einige erleben “dürfen”. Und sie verschwanden auch nicht nach den ersten Tagen, sondern waren wohl die ersten drei Wochen – gerade an den Wochenenden – eine ziemliche Plage. Dazu muss gesagt werden, dass mein Elternhaus an der ersten halbwegs intakten Brücke vor der Mündung in den Rhein liegt. Alle auf der linken Rheinseite fahrenden Fahrradtourist*innen mussten, wollten sie die Ahr überqueren, hier vorbei. Trotzdem habe ich sie angemeckert. Einen meine ich sogar angeschrien zu haben. Ich fühlte mich im Recht, denn er behinderte telefonierend ein Einsatzfahrzeug. “Geh weg! Geh einfach weg!” Mich selbst haben diese Menschen letztlich aber gar nicht so sehr behindert. Auch Fotos haben sie von mir oder den Häusern meines Wissens nicht gemacht. Ich schreibe es eher einer unbändigen Wut in mir zu, die ihrer sauberen Erscheinung entsprang, während so viele Andere mit anpackten, sich dreckig machten und zusammen schwitzten. Ich neidete ihnen vermutlich auch das schöne Zuhause, irgendwo im Kölner Speckgürtel, während sich an meinem Elternhaus der Stand der Ahr noch deutlich abzeichnete. Waren diese Personen zu früh gekommen um sich einen eigenen Eindruck vom Ausmaß der Katastrophe zu machen? Vielleicht. Aber insgesamt scheinen sie wenig aufdringlich gewesen zu sein. Vielleicht waren sie auch selbst etwas beschämt davon so viele Helfende zu sehen und radelten lieber schnell weiter. Ich habe sie nicht gefragt. Für die Anwohner*innen muss es schlimmer geworden sein, als die meisten Helfer*innen und Einsatzkräfte langsam das Ahrtal weiter hochgezogen sind. Der Trubel der ersten beiden Wochen schien langsam abzuebben und eine gewisse (gespenstische) Ruhe im Vergleich zu vorher breitete sich aus. Auch ich verließ in dieser Zeit Sinzig, denn mein Urlaub war aufgebraucht. Das dritte Wochenende nach der Flut berichtete mir meine Mutter von Fahrradfahrer*innen, die in voller Fahrt ihre Handys hochhielten und so ein paar Eindrücke zum Gruseln für die Lieben daheim sammelten. Es muss am Morgen des 31. Juli gewesen sein, als ein Mann sogar die Einfahrt meines Elternhauses heruntergeradelt kam um das Ausmaß der Zerstörung noch besser einfangen zu können. Meine Mutter, deren Wut sich wenn überhaupt eher durch Stille als durch Lautstärke bemerkbar macht, lief hinaus und jagte ihn – so sagt sie es zumindest – wütend rufend vom Hof. Aber auch hier mag ich nicht von einem zu früh sprechen, denn das würde bedeuten, dass es einen Zeitpunkt geben könnte, an dem es in Ordnung ist in fremder Menschen Gärten und Häuser einzudringen um sich an deren Zerstörung – ja was eigentlich – zu erschaudern? Sind Gaffertum und Katastrophentourismus in Ordnung, wenn die größte Not überwunden ist? Vermutlich nicht, aber Betroffene sind offensichtlich nicht wehrlos, sondern finden vielmehr Kraft sich zu widersetzen.

Eine Sache gibt es allerdings, bei der ich mir sicher bin, dass sie zu früh geschieht. Es handelt sich um Angebote für von der Flut zerstörte Grundstücke. Natürlich wird nicht jeder Mensch im Ahrtal, der sein oder ihr Haus verloren hat dieses wiederaufbauen wollen. Manche glauben nicht die Kraft zu haben und das ist völlig legitim. Das Problem das ich sowohl in meiner eigenen Familie wie auch von Freunden und Bekannten vermittelt bekommen habe liegt erstens eher darin, dass die Preise gerade natürlich ins Bodenlose gefallen sind. Im benachbarten Neubauviertel sind angeblich 30.000 € für ein Einfamilienhaus geboten worden – bar auf die Hand. Denken Menschen darüber nach, was solch ein Angebot mit jemandem macht? Glaube sie damit ein faires Angebot zu unterbreiten? Zweitens traumatisiert bzw. schockiert solch eine Katastrophe die davon Betroffenen. Sie lässt sie verständlicherweise unsicher und vulnerabel zurück. In solch einer Situation mit einem Angebot konfrontiert zu werden, das einem einen Ausweg aus dieser Lage ermöglicht muss verständlicherweise verlockend klingen. Keinen Schlamm räumen mehr, keine Verlustlisten erstellen, Wandputz abschlagen oder mit Handwerker*innen über Termine verhandeln. 

Dass aber selbst völlig Unterversicherte früher oder später mit Ersatz durch staatliche Hilfsfonds rechnen können – wenn sie solange warten können – war zu Anfang noch nicht ausgemacht, aber durchaus realistisch. Inzwischen wissen wir, dass es um die 80% sein werden, das die Menschen ersetzt bekommen werden. Leute mit Geschäftssinn haben also nur ein kleines “window of opportunity” (gehabt), um günstige Gelegenheiten zu ergreifen.

Das heißt da glauben einige Menschen mit Geschäftssinn ein Schnäppchen machen zu können. Im Gegensatz zu den Schrottautohändler*inn könnten sie erfolgreicher sein. Und im Gegensatz zu den Katastrophentourist*innen entspringt ihr Handeln keinem generell zu verurteilenden Phänomen. Aber in den ersten Wochen Flutopfern, zu denen auch enge Verwandte von mir gehören, solche Angebote zu machen, scheint mir eindeutig verfrüht und ethisch zutiefst fragwürdig. Und ich denke hier gibt es defintiv ein zu früh – ohne dass ich sagen kann, wann es früh aber okay wäre.

Meiner – Deiner – Unser. Impf-Nationalismus oder: Wem gehört der Impfstoff?

Als im Frühjahr 2020 die Nachricht bekannt wurde, die USA – in Form des hierzulande eher ungeliebten Ex-Präsidenten Trump – wollten das Pharmaunternehmen Curevac kaufen, erregte das die Gemüter im ganzen Land. Die Empörung erreichte höchste politische Kreise. Wirtschaftsminister Altmaier verlautbarte, “Germany is not for sale!”. Außenminister Maas stellte fest, dass “[d]eutsche Forscher […] führend an der Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen beteiligt [sind], in weltweiten Kooperationen. Wir können nicht zulassen, dass sich andere ihre Forschungsergebnisse exklusiv aneignen wollen.“ (https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-corona/2318884)  

Dietmar Hopp als damaliger Curevac-Mehrheitseigner hielt es für ausgeschlossen “dass eine deutsche Firma den Impfstoff entwickelt und dieser in den USA exklusiv genutzt wird.” (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/curevac-hopp-coronavirus-1.4847048)

Es folgten übliche Dementis und Statements und der Fokus der Aufmerksamkeit zog weiter. Doch bleibt die Frage, woher diese Aufwallung patriotischer, nationaler Inbrunst her rührte. Etwas ganz ähnliches habe ich während meines Studiums in Bochum erlebt. Von dort verlegte NOKIA sein Werk 2008 nach Rumänien, worauf Boykottaufrufe das gesamte politische Spektrum einten. Der Konzern ging wenige Jahre später unter, ohne dass diese Episode größeren Anteil daran gehabt hätte. Zurück ins Jahr 2020, in dessen Verlauf ich Artikel, Tweets, Nachrichtensendungen und Reportagen gesammelt und durchforstet habe, um mich diesem Gefühl rechtschaffener Empörung, für das inzwischen der Begriff Imp-Nationalismus geprägt worden ist, zu nähern

Die Vorstellung, bei einem Impfstoff handele es sich um ein nationales Gut, stellt sich inzwischen als weit verbreitetes Sprachbild dar. In Deutschland z.B. gilt das erste zugelassene Vakzin als ein Biontech-Pfizer-Produkt. Dies wurde spätestens virulent (haha), als Biontech und Pfizer eine Wirksamkeit von über 90%, wenige Tage später sogar von 95% vermeldeten und eine Zulassung bis Ende des Jahres in Aussicht stellten. Curevac, das bis dahin medial deutlich präsenter gewesen war, trat ins zweite Glied.

Ich finde die Stellung des Mainzer Unternehmens im Sprachbild “Biontech/Pfizer” spannend, signalisiert dies doch das relevantere Unternehmen in dieser Kooperation. Die Ärzte-Zeitung titelt am 23.12. z.B. folgendermaßen:

(https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/BioNTech-und-Pfizer-liefern-weitere-100-Millionen-Impfdosen-an-USA-415884.html)

Das klingt natürlich harmlos, denn irgendwer muss in solch einer Kooperation ja zuerst genannt werden. Auch die eher faktenorientrierte Seite gesundheitsinformation.de überschreibt einen umfangreichen Artikel der zuletzt am 23.12. aktualisiert wurde in diesem Duktus.

(https://www.gesundheitsinformation.de/der-impfstoff-comirnaty-bnt162b2-biontech-pfizer.3544.de.html?part=corm-p4)

Doch auch die Öffentlich-Rechtlichen mit einem weniger fachspezifischen Publikum als die ersten beiden Informationsangebote orientieren sich daran: Der NDR z.B. ist sich am 21.12.2020 schon sicher, nur mit dem Sprachbild “Biontech/Pfizer” klarstellen zu können, worum es im darunter stehenden Artikel geht.

(https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama_die_reporter/Biontech-Pfizer,biontech100.html

Im Artikel wird Pfizer nur ein einziges Mal zuerst genannt, als es um eine weitere Bestellung durch die US-Regierung geht. Ansonsten herrschen Formulierungen wie die folgende vor: “Das Mittel des Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer ist im Dezember als erster Corona-Impfstoff in der Europäischen Union zugelassen worden.” Journalistische korrekt weist der NDR am Ende des Artikels eine Kurzinformation zu beiden Unternehmen aus. Auch hier wird Biontech zuerst genannt.

Das ZDF dockt ebenso an die Vorstellung des Impfstoffes an, den Biontech entwickelt hat. Pfizers Rolle bleibt in diesen Artikeln meist unklar, sie sind “die Partner” der Deutschen.

Tatsächlich ist Pfizers Rolle eklatant wichtig, wie inzwischen auch deutsche Politiker erkennen müssen, die die geringen Mengen die Deutschland zur Verfügung stehen beklagen. Denn sie besitzen die Produktionskapazitäten und das Know-How den Impfstoff schnell in ausreichenden Mengen herzustellen – und das seit Monaten. Wie Ugur Sahin, Vorsitzender und Mitgründer von Biontech kürzlich anmerkte, dauert es eher Monate als Wochen, die Produktion zum Laufen zu bringen (https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/impfstoff-produktion-mehr-dosen-alles-andere-als-trivial,SKqqs04) . Nicht umsonst steigt Biontechs erstes eigenes Werk, die von Novartis gekauften Marburger Behringwerke erst Anfang 2021 in die Produktion mit ein (hier https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/mainz/biontech-impfstoff-lieferung-mittwoch-100.html sowie hier auf der dazu einberufenen Pressekonferenz im November 2020, was darauf hinweist wie lange das schon bekannt gewesen war: https://player.admiralcloud.com/?v=c87df55d-1cf4-4398-8724-b4908d678b8d). Mit diesen Informationen erscheint die amerikanische Sicht auf das Vakzin, der angebliche Kauf oder das Abwerben von ExpertInnen und Wissen Curevacs gar nicht mehr so seltsam. Es ist bloß die andere Seite derselben Medaille und ein Hinweis auf die Komplexität unserer Gesellschaft(en). Aber ich greife vor.

Über die letzten Monate sprechen Berichte deutscher USA-KorrespondentInnen immer wieder davon, dass es in den Vereinigten Staaten genau andersherum sei. Dort wird der Impfstoff als Pfizer-Vakzin wahrgenommen, in dieser Begrifflichkeit wird darüber gesprochen, geschrieben und berichtet. Zuerst fiel mir dies in der Late Night Show auf, als Stephen Colbert den Begriff benutzte. Verena Bünten weist expliziter auf diese beiden parallelen Perspektiven im Weltspiegel hin. “Der Impfstoff von der deutschen Firma Biontech, mit dem Partner Pfizer. Hier in Michigan wird er produziert. Von den Amerikanern wird er als US-Impfstoff wahrgenommen, und die  Deutschen als Partner.” (https://www.youtube.com/watch?v=aDw8mlUg0pE 1:38 – 1:48)

Solcherlei Sichtweisen – hüben wie drüben – (sie spiegeln auch einen Diskurs wider) bedeuten jedoch nicht zwangsläufig, dass AmerikanerInnen den Impfstoff exklusiv für sich und ihre eigenen Landsleute verwendet sehen wollen. Sie sind vornehmlich stolz auf ihren Beitrag zu einer internationalen wenn nicht sogar globalen Anstrengung gegen Covid-19. Auch dies dokumentiert Bünten in ihrem Beitrag als sie vor dem Pfizer-Werk wartende Menschen interviewt: “[Sie] wollen dabei sein wenn die erste Lieferung des rettenden Impfstoffs rausgeht. “Diese LKW zu sehen, das hat mir Gänsehaut gemacht. Zu wissen, dass wir der Welt helfen. Als das erste Frachtflugzeug abhebt, löst auch das große Gefühle aus.” (https://www.youtube.com/watch?v=aDw8mlUg0pE 2:06 – 2:20) Unterhalb der Mondlandung gibt es für eine andere interviewte Zuschauerin von Büntens Beitrag keinen passenden Vergleich. Mancher mag diese prätentiöse Haltung als typisch amerikanisch empfinden. Amerikaner redeten viel wenn der Tag lang ist, für sie sei alles brilliant, great, perfect. In Deutschland zählt, dass der Impfstoff in Deutschland entwickelt wurde – ebenso wie die grundlegende wissenschaftliche Theorie dahinter. Doch wer sich auf die Biontech-Website verirrt findet bei den Standorten auch einen in Cambridge und einen in San Diego, beide USA, beides Forschungsstandorte. Was aus deutscher Sicht als deutsches Unternehmen erscheint, hat sich längst internationalisiert. In anderen Ländern ist dann der Sprachgebrauch auch eher uneinheitlich. In englischen Zeitungen und Regierungsdokumenten dominiert die Schreibweise Pfizer/Biontech, in Frankreich findet man auf Webseiten des Gesundheitsministeriums beide Schreibweisen. Und doch ist das Phänomen das ich hier beschreibe kein exklusiv Deutsches. Als kurz vor dem Jahreswechsel Boris Johnson die Zulassung des Astra-Zeneca-Impfstoffs auf Twitter kommentierte, lobte er ganz explizit die britische Wissenschaft.

AstraZeneca ist ein klassisches multinationales Konglomerat das 1999 aus der schwedischen Astra AB und Zeneca entstand. Letztere war zuvor Teil der der Imperial Chemical Industries, das große Teile des 20. Jahrhunderts zum industriellen Stolz des “Empires” gehörte. Der Hauptsitz der heutigen AstraZeneca befindet sich im britischen Cambrigde. Die Entwicklung und Forschung konzentriert sich allerdings auf eine Stadt in der Nähe der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Soviel zum Thema britische Wissenschaft (Nachtrag: Die Universität Oxford ist auch beteiligt.).

Wer also prägt den Diskurs zu Corona und den Impfstoffen hierzulande? Bisher erscheint es, als wären es vor allem PolitikerInnen, die die Vorstellung nähren, da handele es sich um einen vornehmlich deutschen Impfstoff, an dem sich das amerikanische Pfizer bloß irgendwie beteiligt habe. Nachdem ich dies alles schon geschrieben habe kommt ein Akteur, wie seine Partei insgesamt, verspätet in den (Diskurs-)Arena – Lars Klingbeil.

Per Kurznachrichtendienst Twitter stellt er empört fest, dass es nicht angehen könne, zu wenig Impfstoff in dem Land zur Verfügung zu haben, in dem der Impfstoff erforscht wurde. Dass es da keinen logischen Zusammenhang gibt, geschenkt. Dass es zu diesem Zeitpunkt bereits allgemein anerkannt ist, dass die Fabrikation des Impfstoffs keine Lappalie ist, egal. Statt europäischer Solidarität eine nationale Kraftanstrengung. Und das aus der SPD. Wenn wir uns aber anschauen, wie auch die Medien den Diskurs befeuern, versteht man vielleicht, welche Logik hinter der Forderung des SPD-Generalsekretär zu diesem Zeitpunkt stand.

Denn gerade als ich diesen Artikel über Weihnachten verfasse haut der – nicht für seine Subtilität bekannte, stellvertretende BILD-Chefredakteur Paul Ronzheimer folgenden Tweet raus.

Im Vergleich zu allen hier zu Wort gekommenen Politikern drückt es Ronzheimer nur etwas krawalliger, spalterischer aus,was in vielen Industrienationen über den ganzen Globus verteilt existiert. Ein Stoff der hohen materiellen und/oder symbolischen Wert besitzt, gehört einem bestimmten Staat, seinem Volk oder seinen FührerInnen. Und je nachdem, wie die Beziehung zu diesem wertvollen Stoff aussieht, reklamiert man dann eben die Erfindung, die Entwicklung oder die Fähigkeit es in industriellem Maßstab herzustellen als relevantes Argument, dass es prinzipiell dem eigenen Volk zusteht. 

Nun mögen viele erleichtert sagen, dass es ja nunmal die BILD sei, bzw. Ihr stellvertretender Chefredakteur. Das steht ja nicht mal in der gedruckten BILD. Aber es geht mir hier auch gar nicht um die Kritik einzelner AkteurInnen, sondern um das Aufzeigen eines bestimmten Diskurses. Die BILD ist hier eher ein Symptom für ein größeres Problem. Und wie meine Nachweise hoffentlich gezeigt haben, ist Impf-Nationalismus bloß das nächste populistische Vehikel mit dem Populäre und Demagogen glauben an eine vermeintlich weit verbreitete Überzeugung an die eigene, nationale Überlegenheit andocken zu können. 

Wem aber gehört nun der Impfstoff, wie soll man ihn bezeichnen? Ich dachte eine Weile, es wäre am Ende sehr einfach, denn in allen Tagesschau-Berichten in denen Ampullen des Vakzins gezeigt wurden, sah es so aus:

Vermeintlich eine klare Sache. Eine einfach Bildersuche über Google zeigt aber, dass es auch anders beschriftete Fläschchen gibt: https://www.hessenschau.de/wirtschaft/biontech-impfstoff-eine-eiskalte-logistische-herausforderung,biontech-logistik-marbburg-impfzentren-100.html

Auch die Hersteller sind sich am Ende über den Sprachgebrauch nicht einig. Sie hängt vermutlich eher davon ab, wo die jeweilige Charge hergestellt worden ist. Und es mag überraschen, aber es gibt eine Menge Produktionsstandorte. Biontech alleine wird mit dem Marburger Werk ab Februar an drei Standorten – Mainz und Idar-Oberstein produzieren bereits – herstellen. Hinzu kommen in Deutschland vier weitere an der Produktion beteiligte Unternehmen: Dermapharm, die angekündigt haben ihre Produktion verdoppeln zu wollen (https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/markt/corona-impfstoff-dermapharm-will-kapazitaet-verdoppeln/), Siegfried (https://punkt4.info/social-news/news/siegfried-ag-partizipiert-am-corona-impfstoffgeschaeft.html), Polymun (die nicht das Endprodukt aber einen zentralen BEstandteil verantworten https://www.derbrutkasten.com/polymun-covid-19-impfstoff-biontech-pfizer/) und Rentschler, die neben kleinen Chargen des Vakkzins auch Dienstleistungen für die Produktion anderer Hersteller liefern (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/117235/Rentschler-Biopharma-SE-reinigt-Impfstoffkandidaten). Zumindest was die “Nationalität” des Impfstoffes angeht, ist die Welt also gespalten. Das ist erstmal eine recht simple Feststellung die nur zum Problem wird, wenn es dazu benutzt wird, nationale Identitäten gegeneinander auszuspielen. Sie verdeckt aber auch eine unangenehme Seite unserer modernen Welt die gerade zu Anfang der Pandemie offenkundig wurde und die ich als Soziologe vielleicht als paradoxe Dialektik bezeichnen würde. Denn das Virus konnte eine pandemische Lage nur aufgrund der internationalen Verflechtungen, der schnellen und günstigen und millionenfach genutzten Reisewege. Und als Schutzmittel knapp wurden, fiel den Menschen in unseren Überflussgesellschaften auf, dass ihr Wohlstand zu einem Gutteil auf günstigen Produktionsketten beruht, die auf einmal von Lockdowns und nationalen Alleingängen unterbrochen wurden. Aber gerade diese globalisierte Welt ist auch eine des Austauschs und der Kooperation. Eine Welt in der eine Idee in der viel gescholtenen deutschen Forschungslandschaft im Jahre 2000 erstmals formuliert wurde 20 Jahre später Rettung für Millionen bedeuten kann. Aber das kann sie eben auch nur, weil Labore und Fabriken über die ganze Welt verteilt Forschung, Entwicklung und Produktion übernehmen. Jedes Land, vielleicht bis auf die mit den größten Binnenmärkten und vorhandenen Produktionskapazitäten, wäre für sich alleine überfordert oder würde es zumindest nicht annähernd so schnell schaffen große Mengen an Impfstoff für seine Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen. Der Großteil der Weltbevölkerung, ja nicht einmal der europäischen, hat dieses Privileg nicht. Gerade in Deutschland sollten wir also vorsichtig sein, wie sehr wir auf “unsere” Leistung diesen Impfstoff entwickelt zu haben, pochen.
Nachschub: Nachdem ich diesen Text ein paar Tage habe ruhen lassen, haben Bayer und Curevac, mit denen mein Artikel begann, angekündigt bei der Zulassung ihres Impfstoffes zu kooperieren (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/119921/Bayer-Kooperation-Curevac-hofft-auf-Zulassung-seines-Impfstoffs-im-Sommer). Das ist keine kleine Nachricht, handelt es sich bei Bayer doch um Deutschlands größten Pharmakonzern. Es gibt bloß einen Schönheitsfehler, der in ersten Artikeln übersehen wurde. Der Bayer-Konzern hat keine sonderliche Expertise in der Impfstoffproduktion. Ein zur Impfstoffproduktion womöglich geeignetes Werk in Wuppertal verkauften die Leverkusener Ende 2020 an eine chinesische Firma. Dementsprechend prüft Bayer auch derzeit bloß, ob und wie sie neben Zulassung und Vertrieb auch bei der Produktion helfen können. Die Kooperation sei der von Biontech und Pfizer zwar ähnlich, eine Produktion in einem amerikanischen Bayer-Werk wird angedacht (https://www.dw.com/de/curevac-sucht-kooperation-mit-bayer/a-56155000). Bis Mitte des Jahres werden wir uns gedulden müssen, was aus dieser Kooperation geworden sein wird.

FlaschensammlerInnen als hidden champions der Innovation. Wieso, weshalb, warum?

Im Bearbeitungsprozess eines Artikels, der auf einem Vortrag aus dem Mai aufbaut, möchte ich diesen hier einmal testweise hochladen. Mal sehen ob es Kommentare gibt. 🙂

 

Artikel_Entwurf_hidden_champions_ Innovationen_unter_dem Radar_22.09.

 

3 Millionen – eine magische Zahl?

In Folge des jüngsten Berichts der Bundesarbeitsagentur hat die tagesschau folgenden Beitrag gemacht:

https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-490253~player_branded-true.html

Der zugrundeliegende Bericht ist hier zu finden:

Click to access monatsbericht-d-0-201812-pdf.pdf

Die Agentur vermeldet neue Rekorde bzgl. historisch niedriger Arbeitslosenzahlen. Das ist eine positive Nachricht, zu Beginn eines erneut als “Super” appostrophierten Wahljahres. Und die Zahlen erwerbloser und arbeitsuchender Menschen werden mit Sicherheit zurückgegangen sein. In Zahlen heisst das erstmal:

“Im Dezember 2018 lebten in 2.995.000 Bedarfsgemeinschaften 5.635.000 Personen, die einen Anspruch auf Regelleistungen nach dem SGB II hatten. Damit waren –mit Ausnahme im Januar 2005 – seit der Einführung des SGB II noch nie so wenige Haushalte in Deutschland auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen.” (Statistik der Bundesagentur für Arbeit Dezember 2018: S. 26)

Diese Statistikberichte sind von der Formulierung her natürlich relativ gleichförmig. Spannend wird es aber, wenn es an die Berichterstattung geht. Denn anders als für gewöhnlich wird eine Marke in den Vordergrund gerückt, die Haushalte oder im Fachjargon Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. Da letzterer Terminus in den Berichten immer wieder gefallen ist schreibe ich dies hier überhaupt, denn er kommt in Medien und im Alltag der Betroffenen so gut wie nicht vor. Normalerweise sind es Haushalte über die berichtet wird. Und die Familien sehen sich, logischerweise, als Familie. Aber irgendetwas scheint diese Grenze von 3 Millionen an sich zu haben, vielleicht ein Gefühl von Vollbeschäftigung, die ja immer noch den politischen Diskurs dmoniert? Ich fand es jedenfalls interessant, wie sich die Darstellung verändert, wenn es opportung erscheint. Fast schon wie damals, als Ursula von der Leyen als damalige Bundearbeitsministerin eigenmächtig wie publikumswirksam die frohe Kunde von unter 3 Millionen Arbeitslosen verkündete. Erinnert sich überhaupt noch jemand daran?

Umso erfreulicher ist es dann, einen Bericht des Deutschlandfunks zu lesen, der schon im Teaser auf die verschiedenen Faktoren für diesen Rückgang hinweist und diese Blitzlichter vermeitlich positiver Arbeitsmarktentwicklungen in einen größeren Zusammenhang rückt. Einer der zentralen Faktoren ist, dass immer mehr Beziehende von Grundsicherung in Rente gehen. An der prekären lage Vieler ändert dies dann nur bedingt etwas, aber an ihrem Ort, an dem sie verwaltet werden.

https://www.deutschlandfunk.de/arbeitsmarkt-zahl-der-hartz-iv-haushalte-deutlich-gesunken.1766.de.html?dram:article_id=437482

Bei der kurzen Recherche hierzu bin ich auf einen Artikel der Wirtschaftswoche aus 2010 gestoßen. Der kam passenderweise heraus, als Ursula von der Leyen die 3 Millionen Arbeitslosen publik gemacht hatte. 😀

“Erstmals seit 1991 ist die Arbeitslosenzahl in einem Oktober-Monat unter die Grenze von drei Millionen gefallen. Dennoch sind sich Ökonomen einig, dass dieser Herbst eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt markiert. Langsam, aber sicher verabschiedet das Land sich aus der Ära der Massenarbeitslosigkeit, die das Lebensgefühl in der Bundesrepublik über Jahrzehnte prägte.” Wer wie ich in den späten 1990er Jahren als Teenie gerne Nachtichten gesehen hat, kennt diese Grundstimmung, die ich mit dem Begriffsild von Deutschland als den kranken Mann Europas assoziiere. Seit 10 Jahren wird dagegen lieber  die Vorstellung vom Exportweltmeister betont. So können sich Bilder verändern…

Und der Artikel befeuerte die positive Grundstimmung damals schon sehr. Aber auch 2010 war schon absehbar, und es spricht für die WiWo dass auf die Gründe für diese rosigen Aussichten hinwies.

“Dafür sorgt allerdings weniger die Politik, sondern vor allem die demografische Entwicklung, die das Angebot an Arbeitskräften in den kommenden Jahren schmilzen lässt. Irgendwann könnten Arbeitnehmer zum begehrtesten, weil knappsten Produktionsfaktor werden.”

Der Fachkräftemangel ist auch wieder solch ein griffiges Bild, das man, sobald man es hört, zu fassen können glaubt. Ähnlich wie die 3 Millionen. Oder Vollbeschäftigung. Und bei beiden Begriffsbildern sollte man seine eigenen Assoziationen hinterfragen und sich überlegen, was das mit einem macht.

 

  • Statistik der Bundesagentur für Arbeit Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Nürnberg, Dezember 2018

 

 

 

 

 

Gedankenlose Bilder II

Das Bild der flaschensammelnden Frau wächst langsam aber sicher zu einem Klassiker heran….http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/pfandsammler-studie-erklaert-das-phaenomen-der-flaschensammler-a-971255.html

Die daran anschließende Kommentarsektion ist interessant bis schwer zu ertragen. Nicht nur dass die Studie ohne jede Grundlage (manche scheinen nicht mal den sehr dürftigen Artikel, geschweigedenn den Klappentext des Buches, gelesen zu haben) verrissen wird und, wie so häufig in SpOn die Existenzberechtigung der Soziologie und/oder Sozialwissenschaft in Frage gestellt wird, es kommen teils auch üble Meinungen und Vorurteile gegenüber den Betroffenen zutage und, bei SpOn obligatorisch, die Genderismus-Keule. Ich find es immer wieder erstaunlich, in welch unsinnigen Zusammenhängen gegen die Geschlechterforschung dort immer wieder argumentiert wird. Sei es wie es sei. Das Bild macht also wieter Karriere und ich muss mich wirklich mal mit Andreas, einem mir aus dem Auslandssemester bekannten Journalisten, reden, ob er mir was zur Entscheidungsfindung bei Bildern im Onlinejournalismus sagen kann.

Ein neues to-do! 🙂

Abgeschloßen hab ich dagegen die Veröffentlichung beim Studentischen Soziologiemagazin: http://soziologieblog.hypotheses.org/6718

Ich hatte es in einem vorherigen Post erwähnt. Entwicklungsforschung erscheint gut geeignet um sozialen Wandel in Deutschland, vll. auch anderen Industrieländern zu untersuchen. In dieser Forschungstradition wurden bereits problematische Verkürzungen wie z.B. dualistische (z.B. legale vs. illegale Wirtschaft) oder auch Evolutionstheorien (muss ich mehr dazu sagen?) entwickelt, kritisiert und verworfen, die sich aktuell wieder im deutschen (vll. sogar dem europäischen) Prekaritätsdiskurs finden lassen (im Artikel hab ich das zumindest anreissen können). Außerdem ist aktuellen Zugängen zu Armut und Ausbeutung in Deutschland (meinem Eindruck nach) ein klar androzentrischer bias inhärent, denn Erwerbsarbeit wird immer noch vorwiegend durch Männer erledigt. Die ersten Entlassungen waren zumindest bis zur letzten Wirtschaftskrise vor allem Frauen und GeringverdienerInnen/Teilzeitkräfte, die wiederum mehrheitlich Frauen sind. EIn Teufelskreis, aber vor ner Weile/Jahren gab es Artikel die, so meine ich mich zu erinnern, aussagten dass Frauen überdurchschnittlich wenig von Entlassungen betroffen waren. Müsste man mal recherchieren oder untersuchen. 😀

Soweit so gut. Endlich hab ich mal wieder was gepostet! :-9

I think that in social science we write to protect as much as we write to express the self and to describe the world. *

Nach dem ersten Post, der viel zu umfangreich und unstrukturiert war, versuche ich mich an einer knapperen, besser verständlicheren “Einleitung”.

Was bezwecke ich mit diesem Blog?

Er soll meinen Versuch dokumentieren, mich weiter mit Themen sozialen Wandels, mit Ausgrenzung, Ausbeutung, auseinanderzusetzen. Letztlich geht es also auch um Armut.

Warum ein Blog?

Öffentliche Blogs haben viele Vorteile – zu viele sie hier aufzuführen. Für mich wichtig sind die Anregungen und Kommentare von LeserInnen. Zugleich möchte ich natürlich auch darstellen. Wie sieht die Lebenssituation von FlaschensammlerInnen in Deutschland aus? Wie sieht sie in anderen Ländern aus? Kann das Pfandsammeln als Form der Lebens- und Einkommenssicherung mit anderen prekären Daseinsformen vergleichen werden? Was für Auswirkungen haben solche Phänomene der Ausbeutung, Ausgrenzung, der unsicheren Lebens- und Produktionszusammenhänge auf das Zusammenleben in dieser und anderen Gesellschaften? Vielleicht ergeben sich neue Kontakte über dieses Blog. Das “nach außen gehen” mit meinem Thema hat sich im laufe der Erstellung meiner Masterarbeit häufig als hilfreich und sinnvoll erwiesen, seien es Ideen und Anmerkungen zur Theorie oder neue Kontakte. Öffentlichkeit ist also ein zentrales Motiv dieses virtuellen Ortes.

Warum dieses Bild?

Ich habe es bereits im ersten Beitrag versucht auszudrücken. Es kursieren vermutlich hunderte Bilder im Netz auf denen FlaschensammlerInnen abgebildet sind. Nicht alle werden mit Einverständnis der Abgebildeten entstanden worden sein. Das Problem ist aber nicht allein die Art und Weise wie diese Bilder entstanden sind. Es geht vielmehr darum, wie diese verwendet werden. Kurz gefasst, werden sie als Symbolisierungen für unterschiedlichste Gedanken und Zwecke gebraucht, häufig aber auch missbraucht. Aus diesem Grund nutze ich keine Personen abbildende Fotografien, sondern nutze ein Bild, zu dem ich schon im Vortrag an Hochschule Furtwangen eigentlich alles gesagt habe.

Was kommt noch?

Zum einen möchte ich Ergebnisse meiner Masterarbeit hier veröffentlichen, aber auch Gedanken zu weiteren Kontakten, Beobachtungen und insgesamt zum weiteren Verlauf dessen, was sich hoffentlich zu einer ausgewachsenen Promotion entwickelt. Auf “Nebenseiten” kommen vielleicht auch abseitigere Gedanken zum Vorschein, mal schauen. Aber eigentlich möchte ich weiterführendes zum Thema Pfandsammeln, Armut und Kombinierte Produktionsformen veröffentlichen. Gerade letzteres verweist auf einen Aspekt meines Interesses, der sich immer noch in Entwicklung befindet. Er entstammt der Bielefledler Entwicklugnsforschung und beschreibt, wie Menschen verschiedenen Produktions- und Erwerbsformen kombinieren, um ihr Überleben zu sichern. Im Verlauf des vergangenen Jahres habe ich erkennen müssen, erkennen können, dass es weitere theoretische Interpretationsmöglichkeiten des Phänomens Flaschensammeln gibt. Meine Untersuchung anhand der Bielefelder Entwicklungsforschung hat jedoch den Vorteil, einen ziemlich schonungslosen Vergleich aktueller Lebensverhältnisse im Industrieland Deutschland mit denen in Entwicklungs- und Schwellenländern der 1980er Jahre zu ziehen. Dieser Vergleich ist aus meiner Sicht angemessen, zumal er hiesige Verhältnisse in seiner Analyse berücksichtigt. Dennoch liegen weitere Theorien vor, die es wert sind, darauf angewendet zu werden. Offensichtlicherweise ist dies die moderne Armuts- und Ungleichheitsforschung. Interessant ist jedoch auch die aktuelle Prekaritätsforschung oder der Konsumansatz von Stephan Lorenz. Es wird sich zeigen. 🙂

*  Susan Krieger: Social Science & The Self – Personal Essays on an Art Form

Etwas mehr tun als nur denken – Gedankenlose Symbolbilder

Nun habe ich diesen Account schon eine Weile (seit Ende 2013), ohne etwas geschrieben zu haben. Ich wusste aber, dass ich Lust habe und dass Themen kommen werden, wenn ich mit offenen Augen durch die Welt gehe. Inzwischen scheint mir, dass ich jeden Tag ein Dutzend Ideen habe, wovon 8 bis 9 ziemlicher Blödsinn sind, ein oder zwei harmlos bis gefährlich und eine  vielleicht wirklich gute darunter ist.

Dieser erste Post beinhaltet mehrere Gedanken. Er umreisst meine Gründe dies hier zu beginnen, wo mein Interesse An FlaschensammlerInnen herkommt und was mich dazu befähigt (jenseits der Tatsache einen Computer und einen internetzugang zu haben). Zunächst möchte ich auf das Warum, Wie und Wozu zum Thema Flaschensammeln, das diesen Blog zum Thema hat eingehen. Darüber hinaus will ich jedoch zumindest zum Ende hin einen Ausblick darauf geben, was ich mit dieser Seite inhaltlich vorhabe.

Auf der Suche nach der Schicht der Ungesicherten

FlaschensammlerInnen im Ruhrgebiet

Mit Artikeln die ich auf diesem Blog veröffentliche suche ich neue Wege, mein persönliches und wissenschaftliches Interesse am Thema Flaschen- bzw. Pfandsammeln weiter verfolgen zu können. Wozu dann ein Internetblog, könnte man fragen und woher nehme ich die Chuzpe, dazu etwas schreiben zu wollen?

Grundlegend beruht alles hier auf meiner Abschlussarbeit zu den Einkommens- und Lebensverhältnissen von FlaschensammlerInnen im Ruhrgebiet. Diese Arbeit liegt jetzt knapp ein Jahr zurück. Ich habe sie eine Weile liegen lassen, habe andere Dinge getan, mich abgelenkt und erholt. Aber ziemlich schnell wollte ich das Thema wieder aufgreifen. So sind in dieser Zeit ein Vortrag mit gleichem Titel (und egoschmeichelndem Video 😀 ) an der Hochschule Furtwangen (http://www.hs-furtwangen.de/willkommen/weiterbildung/weiterbildung-an-der-hfu/studium-generale/seminar/1256-auf-der-suche-nach-der-schicht-der-ungesicherten.html) und – im besten Fall – ein bald erscheinender Fachartikel entstanden. Dieser Blog soll mir auf der einen Seite helfen, diese eher periodischen Arbeiten zu verstetigen und kontinuierlich am Thema, das sich im besten Fall zu einer Promotion auswächst, zu bearbeiten. Darüber hinaus bietet diese “Anlaufstelle” neue und alternative Einblicke in ein Thema, ein soziales Phänomen und die davon betroffenen Menschen, zu dem es zwar viel Berichterstattung und noch mehr Meinungen, vor allem aber Vorurteile gibt. Letzten Endes finde ich aber auch schlicht den Gedanken toll, hiermit Aufmerksamkeit und Visibilität zu generieren.

In meiner Vorstellung wird sich das Thema jedoch mittelfristig nicht auf das Flaschensammeln allein beschränken. Für mich ist Pfandsammeln vielmehr ein phänotypisches Beispiel für die Lebenssituation immer größerer Bevölkerungsteile, die in sozialer Unsicherheit abgleiten und wirtschaftlich ausgegrenzt und ausgebeutet werden. Flaschensammeln ist dabei nur eine von vielen Möglichkeiten, ein Einkommen aufzubessern, das alleine nicht mehr den Lebensunterhalt trägt. So entstand im Laufe der Auseinandersetzung mit den von mir kontaktierten SammlerInnen ein immer schärferes Bild von Menschen, die einfach nicht genug zum Leben haben und deshalb einer schambesetzten und als nieder angsehenen und dementsprechend auch “entlohnten” Tätigkeit nachgehen. Nun mag eingewendet werden, dass bestimmt nicht jedeR SammlerIn Hunger leidet. Es gibt sogar sehr gute Hinweise darauf, dass Flaschensammeln ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist (http://www.taz.de/Flaschensammeln-am-Rande-der-
EM/!95506/). Von Interesse sind aus meiner Sicht aber eben besonders diejenigen, die nicht aus gesundheitlichen Gründen sammeln, oder weil das Pfand halt auf der Strasse liegt, sondern die, die sammeln müssen, um über die Runden zu kommen. Für diese trifft, so meine Kernaussage am Ende der Masterarbeit, zu, dass Ausgegrenzte und Marginalisierte und ungesichert lebende BewohnerInnen des Ruhrgebiets (was die Situation meiner Kontakte ziemlich gut beschreibt) , statt auf der Straße zu demonstrieren, um auf ihre Situation hinzuweisen,  auf die Straße gehen, um Pfand zu sammeln.

Damit werden sie eben nicht nur elementarer, grundgesetzlicher Ansprüche an die Teilhabe am physischen, sozialen und kulturellen Leben verlustig, sondern um so mehr auch denen, in einer repräsentativen Demokratie so zentralen Mitgestaltung des politischen Willens. Sie haben schlicht keine Zeit für solch einen Luxus. Nahezu alle meine Kontakte waren Rentner, ALG-II-BezieherInnen oder sonstige Teilnehmer staatlicher (oder staatliche organisiserter) Zahlungen. Nur reichen diese eben (nicht mehr) aus.

Dies ist der Startpunkt, von dem meine Gedanken bis heute immer weitere Kreise ziehen. Anstatt jetzt weiter mit möglichen Implikationen zu langweilen, wechsle ich lieber zu dem Thema, das ich ursprünglich für diesen Post geplant hatte, bevor sich alles verselbständigt hat – den gedankenlosen Gebrauch von Symbolbildern.

Inzwischen liegt der Artikel von SpiegelOnline (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/arbeitsmarktstudie-435-000-menschen-haben-keine-chance-auf-einen-job-a-932624.html ) mehr als zwei Monate zurück. Es handelt sich wahrscheinlich um einen geringfügig veränderten Pressetext, der am späten Freitagnachmittag hochgeladen wurde. Was mich auf den Artikel erst aufmerksam gemacht hat, war das Symbolbild.

Gedankenlose Symbolbilder I

Es bedeutet. Arbeitslos = Flaschensammlerin. Es ist nicht das erste Mal dass ich dieses Bild verwendet sehe, wer kennt schon die Richtlinien, Tipps und Tags denen Redaktionen, Pressedienstleistern und Redakteuren unterliegen.

Gerade zu Anfang der Masterarbeit habe ich mich durch eine Menge Artikel gekämpft, in denen ähnliche Symbolisierungen benutzt wurden oder in denen Reporter FlaschensammlerInnen (ungefragt) fotografiert haben. Nichts gegen Authentizität und bildhafte Darstellung von InterviewpartnerInnen wenn diese zustimmen, aber selbst dann bleibt ein Machtgefälle bestehen, das sich häufig in Bildarrangements ausdrückt, die absolut stereotyp sind. Einer meiner ersten Kontakte hatte sich mir gegenüber über die Darstellung seiner Person in Wort und Bild in einem Artikel einer Lokalzeitung beschwert.

Dieses Bild dort oben bildet dahingehend leider keine Ausnahme. Normal sind vielmehr, das habe ich damals in einer leider sehr knappen Medienanalyse folgende Strukturen in der Berichterstattung über SammlerInnen.

  1. Homestories, die das Phänomen zentral an der Situation einer oder zweier proträtierter Personen, gewürzt mit den immer gleichen Fakten zum Pfandsystem, darstellen. Der obige taz-Artikel ist ein Beispiel.

  2. Tendenziöse Artikel, Blog- und Foreneinträge (die auch durchaus Elemente der Homestory enthalten können), in denen aber die ProtagonistInnen und ihr Verhalten mit Tieren oder etwas vage barabrischem verglichen werden. Bestes Beispiel ist hier tatsächlich kein rein journalistischer reitrag, sondern der eines Wissenschaftlers in der schweizer Zeitschrift polar (http://www.polar-zeitschrift.de/polar_08.php?id=366#366), aus der ich zwei Zitate anführen möchte:

    Der giftige Blick des Flaschensammlers, wenn er vorm Glascontainer auf einen Kollegen trifft, lässt ahnen, wie hart umkämpft auch dieser Markt ist

    und

    der Flaschensammler hat seine Umgebung stets im Auge, immer auf der Hut vor möglichen Konkurrenten oder ehrbaren Bürgern, die ihm mit Verachtung oder einer kaum minder verächtlichen Verlegenheit nachschauen.

  3. Beiträge, die sich eigentlich gar nicht für SammlerInnen interessieren. Die Berichterstattung über sie dient solchen Personen vielmehr als Vehikel einer völlig anderen Botschaft, wie z.B. der Anprangerung der Konsum-, Wegwerf- und Feiergesellschaft sowie die Verdammung eines bedingungslosen Grundeinkommens handeln (was schon ein ziemlicher Gedankensprung der Autors ist ( http://blogs.faz.net/stuetzen/2010/04/03/der-flaschenmann-und-die-stuetzung-der-gesellschaft-1120/ ). Hier eine Kostprobe:

    Vielleicht ist er [der Flaschensammler] auch einfach nur arm; Obdachlos scheint er nicht zu sein, vielleicht aber hasst er den Umgang all der Sorglosen mit Geld, das sie einfach wegwerfen, irgendwer wird schon zahlen, diesmal die Eltern und später gibt es vielleicht ein Grundeinkommen für alle, da braucht man die lausigen Cent doch nicht. Der Flaschenmann denkt anders, und er hat mit seiner Taschenlampe über dem Mülleimer mehr Respekt verdient als jene, denen es definitiv besser geht, die genau diese Erfahrung nicht haben, und vielleicht deshalb so sind, wie wir das Wochenende um Wochenende betrachten können – denn wie sollte jemand, der vor seinem eigenen Vermögen schon keinen Respekt hat, den Besitz Anderer achten?

  4. Im besten Fall reden die SchreiberInnen zumindest mit den Personen über die sie schreiben (insofern sie diese nicht selbst erfinden, aber dann führen sie ja quasi Slebstgespräche…) Immer häufiger kommt es jedoch vor, dass RedaktuerInnen Selbstversuche starten, in dem Bestreben dem Konsumenten einen möglichst authentischen Eindruck zu vermitteln, wie z.B. in der WAZ (http://www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/unterwegs-als-flaschensammler-wie-fuehlt-sich-das-an-id7066940.html). Darüber haben sich SammlerInnen mir gegenüber von sich aus beschwert.

  5. Der neueste Trend ist solch eine Selbstversuchsberichterstattung als Fernseh- oder Rundfunkbeitrag. Insofern können Printmedien wohl als innovativer angesehen werden. Das mein ich bloß nicht positiv.

Zurück zum Artikel. Ich war ziemlich wütend, aber um ne halbwegs sinnvolle Kritik zu geben, musste ich natürlich diesen Erguss auch lesen. Ich hatte wirklich Lust dem oder der RedakteurIn seine Gedankenlosigkeit um die Ohren zu hauen, aber es stellte sich heraus dass dort eine Arbeitsmarktstudie des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik (Ibus) (lustigerweise an der Grüne-Wiesen-FH direkt neben meiner Heimatsatdt beheimatet, anyhow) widergegeben wird und sich die dort gezogenen Schlüße sogar sehr gut mit meinen Ergebnissen und Folgerungen treffen. Der_die Verantwortliche geht natürlich nicht auf das Flaschensammeln an sich ein, aber ich musste ja auch sehen, dass das nicht der einzige Zuverdienst von Menschen mit zu wenig Geld und ohne Perspektive ist. Bei diesen 435.000 Menschen handelt es sich der Studie zufolge “um den ‘harten Kern’ der erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen, die keinen Zugang mehr zu einem normalen Arbeitsverhältnis bekommen würden”. Die Studie scheint also, als Teil einer quantitativen Herangehensweise an Armut, Ausgrenzung und schlicht Hoffnungslosigkeit zu sein. Was aber bedeutet das für die betroffenen Menschen? Sowas können Zahlen nur begrenzt widergeben, weshalb ich explorative und damit qualitative Sozialforschung in diesem Bereich für so wichtig erachte. Vergessen werden zumindest die mit diesem Personenkreis verbundenen Kinder und Jugendlichen nicht und es wird prominent Hartz-IV, die aktuelle Sozialgesetzgebung und deren behördliche Ausführung angesprochen. Nichts außergewöhnliches in dieser Art von Berichterstattung, aber immerhin!

Alles gut also? Nicht ganz. Ich frage mich immer noch, warum genau dieses Symbolbild benutzt worden ist. Es geht nicht am Kern des Themas vorbei, es passt sogar halbwegs. Aber Flaschensammeln als soziales Phänomen ist zu einem Code geworden, den jeder sofort zu verstehen glaubt. Im Laufe der Abschlussareit habe ich mehr als ein Vorurteil, von denen ich viele selbst lange gepflegt habe, wanken und einstürzen sehen. Den SammlerInnen sind diese Stereotype und Vorurteile natürlich mehr als bekannt. Sie reagieren darauf oder versuchen sie zu ignorieren, aber letztlich werden sie in eine Schublade gesteckt, die einfach nicht zutrifft und gegen die sie sich meiner Ansicht nach kaum wehren (können). Überdies tragen solche Bilder dazu bei diese Vorstellungen zu verfestigen. Warum also dieses Bild für diesen Artikel? Die Anfrage an SpOn wurde bisher nicht beantwortet, wundert mich allerdings auch nicht. Das interessante ist, dass dieses Bild von AP auch “andernorts” verwendet wird, zum Beispiel bei tagesschau.de ( http://www.tagesschau.de/inland/datenreport104.html ). Auch da dient es dazu, Altersarmut zu veranschaulichen.

Handelt es sich also um den gedankenlosen Gebrauch von Symbolbildern? Ja,

Ist es nachvollziehbar warum das so gehandhabt wird? Ohne tiefere Einblicke in den Journalismus zu haben, wird es dennoch nachvollziehbare Gründe geben, Bilder von FlaschensammlerInnen als Symbol für (Alters-, Kinder-, Arbeitslosen-,) Armut zu verwenden. Und sei es nur, weil die Zeit für eine bessere Recherche fehlt. Nachvollziehen heisst jedoch nicht gutheißen.

Wo ist das Problem, wenn es dich doch um Armut dreht, warum ist das gedankenlos? Das Problem ist die einseitige Darstellung dieser Menschen als Opfer. Klar sind sie den ausgrenzenden und ausbeuterischen Strukturen unserer Gesellschaft (und von uns selbst) besonders ausgesetzt. Bloß gewöhnt man sich zusehends an diese Bilder, genauso wie wir uns schon lange an ihren Anblick auf den Straßen und Plätzen der Städte gewöhnt haben. Der häufige und in so vielen verschiedenen Zusammenhängen stattfindende Gebrauch dieser Bilder stumpft letztlich ab. Zurück bleibt das vage Gefühl, dass hier was falsch läuft. Aber was soll man schon machen, wenn eh schon alle Gesellschaftsschichten betroffen sind? Zurück bleibt “Opfer”, “Schmarotzer” “Penner” und eine (gefühlte) Hoffnungslosigkeit, die jeden Gedanken daran, dass sich etwas ändern könnte, überwältigt.

Im letzten Teil meines Vortrags, der Teil, in dem auch das Auditorium zu Wort kommt, wurde ich gefragt, ob ich denn Initiativen wie pfandgeben.de oder pfand-gehört-daneben gut finde oder ob ich davon abraten würde, SammlerInnen indirekt-direkt zu unterstützen. Ich musste einen Moment überlegen, es ist eine mehr als berechtigte, ja sogar eine gute Frage, die mir selbst lange durch den Kopf ging.

Zuerst würde ich jedem raten, Pfand SammlerInnen zugänglich zu machen. Es ihnen vorzuenthalten ändert rein gar nichts an deren Situation, ausser man glaubt daran, dass man eine Gruppe (die sowieso inhomogen und fragmentiert ist) nur schlecht genug behandeln muss, damit sie irgendwann den Aufstand probt. Das empfinde ich allerdings als menschenverachtend.

Wenn man es beim Pfandspenden bewenden lässt kann man sich hingegen relativ günstig und nebenbei ein gutes Gewissen erkaufen. So man jedoch schon die … Großherzigkeit … besessen hat, einem Menschen auf anonyme Weise Geld zu spenden, fällt es aus meiner Sicht schwer, nicht die Konsequenz zu besitzen, sich mit den größeren Zusammenhängen zu beschäftigen und zu versuchen, etwas im größeren Maßstab zu verändern. Und damit meine ich nicht, einen Kasten Pfand vor die Tür zu stellen, sondern politisch, zivilgesellschaftlich und so weiter und so fort. Insofern ist auch dieser Post, so wirr und krude er auf mich wirkt, auch als erster Anstoß für mich zu sehen, etwas mehr zu tun.

Dies ist vermutlich einer der aus meiner Sicht besten Gründe, dass ich diesen Blog gestartet habe. Ich wollte nach der Abgabe das Thema nicht einfach sich selbst überlassen, ich möchte hier weiter etwas tun. Was das genau sein wird, jenseits des Textproduktion, sei vorerst dahingestellt.

Gute Nacht!

Quote

“Der Philosoph,…

“Der Philosoph, der in der Öffentlichkeit eingreifen will, ist kein Philosoph mehr, sondern Politiker; er will nicht mehr nur Wahrheit, sondern Macht.” – Wahrheit und Politik, S. 338 in: “Zwischen Vergangenheit und Zukunft”, 2000