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Wann wird aus früh zu früh?

Seit der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands bin ich vor Ort oder von meinem Wohnort in die Aufräumarbeiten meiner Eltern eingebunden gewesen. Heute, knapp fünf Wochen nach der Flut, führe ich das übliche Abendgespräch mit ihnen. Darin geht es meist um Handwerker die – nicht – aufgetaucht sind, HelferInnen, die Prosecco zum Mittag wollten – den meine Mutter bei Penny besorgt hat – oder Nachbar*inn, mit denen es mal schwierig und mal herzlich ist. Es hat sich eine gewisse Routine eingestellt und die Probleme vom Beginn dieser Katastrophe treten in den Hintergrund. In einem Nebensatz erwähnte meine Mutter dann aber noch einen der immer noch omnipräsenten Schrotthändler, der den Handwerkern die alten Heizkörper die sie raus trugen sofort abnehmen wollte. Das Ding war schnell geklärt, die Handwerker brauchten sie genauso wenig wie meine Eltern und der Händler hatte seinen Wagen voll. Diese kleine Episode erinnert mich allerdings an Gespräche aus den vergangenen Wochen, in denen es immer wieder darum ging, dass es neben den vielen uneigennützigen Helfer*innen auch sehr schnell Menschen mit Geschäftssinn oder schlicht wenig Feingefühl auf die von der Flut Betroffenen aufmerksam geworden sind. So wütend mich diese Menschen, denen ich teils selbst begegnet bin, gemacht haben, stelle ich mir mit etwas Abstand tatsächlich die Frage, wann ein sonst normales Handeln – wie z.B. ein Angebot für ein Haus zu unterbreiten – nach solch einer Katastrophe – wieder – legitim sein könnte. Wann ist der richtige Zeitpunkt um mit Menschen, die im Laufe einer Katastrophe viel erlebt und noch mehr verloren haben, Themen anzusprechen oder Angebote zu machen? 

Wie schon der erste Tag nach der Flut gezeigt hat, entscheidet so manche Person diese Frage für sich  sehr schnell. Denn des Einen Krise ist ja bekanntlich des Anderen Chance. Schon am 15.07. – da war das Wasser noch nicht ganz abgeflossen – kursierten erste Anzeigen bei ebay nach Schrottautos in Bad Neuenahr. Inzwischen sind diese Anzeigen verschwunden, vor ein paar Tagen konnte ich noch drei lokal speichern (siehe Bild 1).

Links ist ein weinrotes Mittelkalsseauto als Ausschnitt eines größeren Fotos abgebildet. Das Auto steht fast bis zu den Fensterscheiben im Wasser.
Von der Mitte bis zum rechten Rand sind Ort (Bad Neuenahr), Gesuch (Ankauf von Autos in Rheinland-Pfalz, Wasserschade, Hagelschaden + weiterer Text) und weitere Angaben (unter anderem Preis von 8999€) angegben.

An diesem ersten Donnerstag nach der Flut war ich allerdings zutiefst irritiert; und auch etwas wütend. Ich fand es furchtbar unsensibel, ja geradezu pietätlos dass es Menschen gab, deren erster Gedanke den Schrottautos im Katastrophengebiet galt und nicht den Menschen. Ich empfand es als zu früh, was da online geschah. Mit etwas Abstand kann ich mir vorstellen, dass sich darin auch meine eigene Ohnmacht ausgedrückt hat noch nicht vor Ort bei meiner Familie zu sein. Vielleicht steckte mir auch noch der frühe Morgen in den Knochen, während dem wir (meine Schwester, ihr Mann, meine Cousine und ich) eine gute Stunde versuchten meine Eltern ausfindig zu machen – letztlich erfolgreich. Der Abstand hilft mir auch klar zu machen, dass es kaum jemand der selbst betroffen gewesen ist gesehen haben dürfte in diesen ersten Tagen – denn Internet und Mobilfunk waren vielerorts zusammengebrochen. Der erwachende Geschäftssinn mancher Mitmenschen mag also unangemessen oder zu früh gekommen sein. Aber diese “Offerten” werden sie kaum einmal erreicht haben. Alles gut also? Nicht ganz. Denn es vergingen nur wenige Tage, da traten solche “Geschäftsleute” auch schon an Bekannte und Verwandte vor Ort heran. Dazu muss man wissen, dass gegenüber meinem Elternhaus Dutzende Gebrauchtwagen eines Händlers standen, die die Flut in den Gärten des Viertels verteilt hatte. Überall lagen Schrottautos, gerne auch ineinander verkeilt (wie hier im Garten meiner Eltern).

Aus mir unbegreiflichen Gründen wirkte dieses „Angebot“ auf diese Händler*innen sehr anziehend. Und so kam es, dass während des ersten Wochenendes nicht wenige Anwohner*innen immer wieder in ihren Aufräumarbeiten unterbrochen wurden um sich mit diesen Kaufinteressent*innen für Autos, die ihnen meist gar nicht gehörten und die sie nicht weggeben durften, auseinanderzusetzen. So manchen hat das genervt, aber von lautstarken Auseinandersetzungen habe ich zumindest nichts erzählt bekommen. Die meisten meinten sie hätten diese Menschen einfach fortgeschickt. Insofern war das Interesse der Autohändler*innen zwar fehlgeleitet und verfrüht, aber sie haben damit außer etwas zu nerven niemandem geschadet. Es gibt Schlimmeres.

Schlimmeres wie z.B. Katastrophentourist*innen. Von Ihnen habe ich selbst einige erleben “dürfen”. Und sie verschwanden auch nicht nach den ersten Tagen, sondern waren wohl die ersten drei Wochen – gerade an den Wochenenden – eine ziemliche Plage. Dazu muss gesagt werden, dass mein Elternhaus an der ersten halbwegs intakten Brücke vor der Mündung in den Rhein liegt. Alle auf der linken Rheinseite fahrenden Fahrradtourist*innen mussten, wollten sie die Ahr überqueren, hier vorbei. Trotzdem habe ich sie angemeckert. Einen meine ich sogar angeschrien zu haben. Ich fühlte mich im Recht, denn er behinderte telefonierend ein Einsatzfahrzeug. “Geh weg! Geh einfach weg!” Mich selbst haben diese Menschen letztlich aber gar nicht so sehr behindert. Auch Fotos haben sie von mir oder den Häusern meines Wissens nicht gemacht. Ich schreibe es eher einer unbändigen Wut in mir zu, die ihrer sauberen Erscheinung entsprang, während so viele Andere mit anpackten, sich dreckig machten und zusammen schwitzten. Ich neidete ihnen vermutlich auch das schöne Zuhause, irgendwo im Kölner Speckgürtel, während sich an meinem Elternhaus der Stand der Ahr noch deutlich abzeichnete. Waren diese Personen zu früh gekommen um sich einen eigenen Eindruck vom Ausmaß der Katastrophe zu machen? Vielleicht. Aber insgesamt scheinen sie wenig aufdringlich gewesen zu sein. Vielleicht waren sie auch selbst etwas beschämt davon so viele Helfende zu sehen und radelten lieber schnell weiter. Ich habe sie nicht gefragt. Für die Anwohner*innen muss es schlimmer geworden sein, als die meisten Helfer*innen und Einsatzkräfte langsam das Ahrtal weiter hochgezogen sind. Der Trubel der ersten beiden Wochen schien langsam abzuebben und eine gewisse (gespenstische) Ruhe im Vergleich zu vorher breitete sich aus. Auch ich verließ in dieser Zeit Sinzig, denn mein Urlaub war aufgebraucht. Das dritte Wochenende nach der Flut berichtete mir meine Mutter von Fahrradfahrer*innen, die in voller Fahrt ihre Handys hochhielten und so ein paar Eindrücke zum Gruseln für die Lieben daheim sammelten. Es muss am Morgen des 31. Juli gewesen sein, als ein Mann sogar die Einfahrt meines Elternhauses heruntergeradelt kam um das Ausmaß der Zerstörung noch besser einfangen zu können. Meine Mutter, deren Wut sich wenn überhaupt eher durch Stille als durch Lautstärke bemerkbar macht, lief hinaus und jagte ihn – so sagt sie es zumindest – wütend rufend vom Hof. Aber auch hier mag ich nicht von einem zu früh sprechen, denn das würde bedeuten, dass es einen Zeitpunkt geben könnte, an dem es in Ordnung ist in fremder Menschen Gärten und Häuser einzudringen um sich an deren Zerstörung – ja was eigentlich – zu erschaudern? Sind Gaffertum und Katastrophentourismus in Ordnung, wenn die größte Not überwunden ist? Vermutlich nicht, aber Betroffene sind offensichtlich nicht wehrlos, sondern finden vielmehr Kraft sich zu widersetzen.

Eine Sache gibt es allerdings, bei der ich mir sicher bin, dass sie zu früh geschieht. Es handelt sich um Angebote für von der Flut zerstörte Grundstücke. Natürlich wird nicht jeder Mensch im Ahrtal, der sein oder ihr Haus verloren hat dieses wiederaufbauen wollen. Manche glauben nicht die Kraft zu haben und das ist völlig legitim. Das Problem das ich sowohl in meiner eigenen Familie wie auch von Freunden und Bekannten vermittelt bekommen habe liegt erstens eher darin, dass die Preise gerade natürlich ins Bodenlose gefallen sind. Im benachbarten Neubauviertel sind angeblich 30.000 € für ein Einfamilienhaus geboten worden – bar auf die Hand. Denken Menschen darüber nach, was solch ein Angebot mit jemandem macht? Glaube sie damit ein faires Angebot zu unterbreiten? Zweitens traumatisiert bzw. schockiert solch eine Katastrophe die davon Betroffenen. Sie lässt sie verständlicherweise unsicher und vulnerabel zurück. In solch einer Situation mit einem Angebot konfrontiert zu werden, das einem einen Ausweg aus dieser Lage ermöglicht muss verständlicherweise verlockend klingen. Keinen Schlamm räumen mehr, keine Verlustlisten erstellen, Wandputz abschlagen oder mit Handwerker*innen über Termine verhandeln. 

Dass aber selbst völlig Unterversicherte früher oder später mit Ersatz durch staatliche Hilfsfonds rechnen können – wenn sie solange warten können – war zu Anfang noch nicht ausgemacht, aber durchaus realistisch. Inzwischen wissen wir, dass es um die 80% sein werden, das die Menschen ersetzt bekommen werden. Leute mit Geschäftssinn haben also nur ein kleines “window of opportunity” (gehabt), um günstige Gelegenheiten zu ergreifen.

Das heißt da glauben einige Menschen mit Geschäftssinn ein Schnäppchen machen zu können. Im Gegensatz zu den Schrottautohändler*inn könnten sie erfolgreicher sein. Und im Gegensatz zu den Katastrophentourist*innen entspringt ihr Handeln keinem generell zu verurteilenden Phänomen. Aber in den ersten Wochen Flutopfern, zu denen auch enge Verwandte von mir gehören, solche Angebote zu machen, scheint mir eindeutig verfrüht und ethisch zutiefst fragwürdig. Und ich denke hier gibt es defintiv ein zu früh – ohne dass ich sagen kann, wann es früh aber okay wäre.

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