Nun habe ich diesen Account schon eine Weile (seit Ende 2013), ohne etwas geschrieben zu haben. Ich wusste aber, dass ich Lust habe und dass Themen kommen werden, wenn ich mit offenen Augen durch die Welt gehe. Inzwischen scheint mir, dass ich jeden Tag ein Dutzend Ideen habe, wovon 8 bis 9 ziemlicher Blödsinn sind, ein oder zwei harmlos bis gefährlich und eine vielleicht wirklich gute darunter ist.
Dieser erste Post beinhaltet mehrere Gedanken. Er umreisst meine Gründe dies hier zu beginnen, wo mein Interesse An FlaschensammlerInnen herkommt und was mich dazu befähigt (jenseits der Tatsache einen Computer und einen internetzugang zu haben). Zunächst möchte ich auf das Warum, Wie und Wozu zum Thema Flaschensammeln, das diesen Blog zum Thema hat eingehen. Darüber hinaus will ich jedoch zumindest zum Ende hin einen Ausblick darauf geben, was ich mit dieser Seite inhaltlich vorhabe.
Auf der Suche nach der Schicht der Ungesicherten
FlaschensammlerInnen im Ruhrgebiet
Mit Artikeln die ich auf diesem Blog veröffentliche suche ich neue Wege, mein persönliches und wissenschaftliches Interesse am Thema Flaschen- bzw. Pfandsammeln weiter verfolgen zu können. Wozu dann ein Internetblog, könnte man fragen und woher nehme ich die Chuzpe, dazu etwas schreiben zu wollen?
Grundlegend beruht alles hier auf meiner Abschlussarbeit zu den Einkommens- und Lebensverhältnissen von FlaschensammlerInnen im Ruhrgebiet. Diese Arbeit liegt jetzt knapp ein Jahr zurück. Ich habe sie eine Weile liegen lassen, habe andere Dinge getan, mich abgelenkt und erholt. Aber ziemlich schnell wollte ich das Thema wieder aufgreifen. So sind in dieser Zeit ein Vortrag mit gleichem Titel (und egoschmeichelndem Video 😀 ) an der Hochschule Furtwangen (http://www.hs-furtwangen.de/willkommen/weiterbildung/weiterbildung-an-der-hfu/studium-generale/seminar/1256-auf-der-suche-nach-der-schicht-der-ungesicherten.html) und – im besten Fall – ein bald erscheinender Fachartikel entstanden. Dieser Blog soll mir auf der einen Seite helfen, diese eher periodischen Arbeiten zu verstetigen und kontinuierlich am Thema, das sich im besten Fall zu einer Promotion auswächst, zu bearbeiten. Darüber hinaus bietet diese “Anlaufstelle” neue und alternative Einblicke in ein Thema, ein soziales Phänomen und die davon betroffenen Menschen, zu dem es zwar viel Berichterstattung und noch mehr Meinungen, vor allem aber Vorurteile gibt. Letzten Endes finde ich aber auch schlicht den Gedanken toll, hiermit Aufmerksamkeit und Visibilität zu generieren.
In meiner Vorstellung wird sich das Thema jedoch mittelfristig nicht auf das Flaschensammeln allein beschränken. Für mich ist Pfandsammeln vielmehr ein phänotypisches Beispiel für die Lebenssituation immer größerer Bevölkerungsteile, die in sozialer Unsicherheit abgleiten und wirtschaftlich ausgegrenzt und ausgebeutet werden. Flaschensammeln ist dabei nur eine von vielen Möglichkeiten, ein Einkommen aufzubessern, das alleine nicht mehr den Lebensunterhalt trägt. So entstand im Laufe der Auseinandersetzung mit den von mir kontaktierten SammlerInnen ein immer schärferes Bild von Menschen, die einfach nicht genug zum Leben haben und deshalb einer schambesetzten und als nieder angsehenen und dementsprechend auch “entlohnten” Tätigkeit nachgehen. Nun mag eingewendet werden, dass bestimmt nicht jedeR SammlerIn Hunger leidet. Es gibt sogar sehr gute Hinweise darauf, dass Flaschensammeln ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist (http://www.taz.de/Flaschensammeln-am-Rande-der-
EM/!95506/). Von Interesse sind aus meiner Sicht aber eben besonders diejenigen, die nicht aus gesundheitlichen Gründen sammeln, oder weil das Pfand halt auf der Strasse liegt, sondern die, die sammeln müssen, um über die Runden zu kommen. Für diese trifft, so meine Kernaussage am Ende der Masterarbeit, zu, dass Ausgegrenzte und Marginalisierte und ungesichert lebende BewohnerInnen des Ruhrgebiets (was die Situation meiner Kontakte ziemlich gut beschreibt) , statt auf der Straße zu demonstrieren, um auf ihre Situation hinzuweisen, auf die Straße gehen, um Pfand zu sammeln.
Damit werden sie eben nicht nur elementarer, grundgesetzlicher Ansprüche an die Teilhabe am physischen, sozialen und kulturellen Leben verlustig, sondern um so mehr auch denen, in einer repräsentativen Demokratie so zentralen Mitgestaltung des politischen Willens. Sie haben schlicht keine Zeit für solch einen Luxus. Nahezu alle meine Kontakte waren Rentner, ALG-II-BezieherInnen oder sonstige Teilnehmer staatlicher (oder staatliche organisiserter) Zahlungen. Nur reichen diese eben (nicht mehr) aus.
Dies ist der Startpunkt, von dem meine Gedanken bis heute immer weitere Kreise ziehen. Anstatt jetzt weiter mit möglichen Implikationen zu langweilen, wechsle ich lieber zu dem Thema, das ich ursprünglich für diesen Post geplant hatte, bevor sich alles verselbständigt hat – den gedankenlosen Gebrauch von Symbolbildern.
Inzwischen liegt der Artikel von SpiegelOnline (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/arbeitsmarktstudie-435-000-menschen-haben-keine-chance-auf-einen-job-a-932624.html ) mehr als zwei Monate zurück. Es handelt sich wahrscheinlich um einen geringfügig veränderten Pressetext, der am späten Freitagnachmittag hochgeladen wurde. Was mich auf den Artikel erst aufmerksam gemacht hat, war das Symbolbild.

Es bedeutet. Arbeitslos = Flaschensammlerin. Es ist nicht das erste Mal dass ich dieses Bild verwendet sehe, wer kennt schon die Richtlinien, Tipps und Tags denen Redaktionen, Pressedienstleistern und Redakteuren unterliegen.
Gerade zu Anfang der Masterarbeit habe ich mich durch eine Menge Artikel gekämpft, in denen ähnliche Symbolisierungen benutzt wurden oder in denen Reporter FlaschensammlerInnen (ungefragt) fotografiert haben. Nichts gegen Authentizität und bildhafte Darstellung von InterviewpartnerInnen wenn diese zustimmen, aber selbst dann bleibt ein Machtgefälle bestehen, das sich häufig in Bildarrangements ausdrückt, die absolut stereotyp sind. Einer meiner ersten Kontakte hatte sich mir gegenüber über die Darstellung seiner Person in Wort und Bild in einem Artikel einer Lokalzeitung beschwert.
Dieses Bild dort oben bildet dahingehend leider keine Ausnahme. Normal sind vielmehr, das habe ich damals in einer leider sehr knappen Medienanalyse folgende Strukturen in der Berichterstattung über SammlerInnen.
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Homestories, die das Phänomen zentral an der Situation einer oder zweier proträtierter Personen, gewürzt mit den immer gleichen Fakten zum Pfandsystem, darstellen. Der obige taz-Artikel ist ein Beispiel.
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Tendenziöse Artikel, Blog- und Foreneinträge (die auch durchaus Elemente der Homestory enthalten können), in denen aber die ProtagonistInnen und ihr Verhalten mit Tieren oder etwas vage barabrischem verglichen werden. Bestes Beispiel ist hier tatsächlich kein rein journalistischer reitrag, sondern der eines Wissenschaftlers in der schweizer Zeitschrift polar (http://www.polar-zeitschrift.de/polar_08.php?id=366#366), aus der ich zwei Zitate anführen möchte:
Der giftige Blick des Flaschensammlers, wenn er vorm Glascontainer auf einen Kollegen trifft, lässt ahnen, wie hart umkämpft auch dieser Markt ist
und
der Flaschensammler hat seine Umgebung stets im Auge, immer auf der Hut vor möglichen Konkurrenten oder ehrbaren Bürgern, die ihm mit Verachtung oder einer kaum minder verächtlichen Verlegenheit nachschauen.
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Beiträge, die sich eigentlich gar nicht für SammlerInnen interessieren. Die Berichterstattung über sie dient solchen Personen vielmehr als Vehikel einer völlig anderen Botschaft, wie z.B. der Anprangerung der Konsum-, Wegwerf- und Feiergesellschaft sowie die Verdammung eines bedingungslosen Grundeinkommens handeln (was schon ein ziemlicher Gedankensprung der Autors ist ( http://blogs.faz.net/stuetzen/2010/04/03/der-flaschenmann-und-die-stuetzung-der-gesellschaft-1120/ ). Hier eine Kostprobe:
Vielleicht ist er [der Flaschensammler] auch einfach nur arm; Obdachlos scheint er nicht zu sein, vielleicht aber hasst er den Umgang all der Sorglosen mit Geld, das sie einfach wegwerfen, irgendwer wird schon zahlen, diesmal die Eltern und später gibt es vielleicht ein Grundeinkommen für alle, da braucht man die lausigen Cent doch nicht. Der Flaschenmann denkt anders, und er hat mit seiner Taschenlampe über dem Mülleimer mehr Respekt verdient als jene, denen es definitiv besser geht, die genau diese Erfahrung nicht haben, und vielleicht deshalb so sind, wie wir das Wochenende um Wochenende betrachten können – denn wie sollte jemand, der vor seinem eigenen Vermögen schon keinen Respekt hat, den Besitz Anderer achten?
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Im besten Fall reden die SchreiberInnen zumindest mit den Personen über die sie schreiben (insofern sie diese nicht selbst erfinden, aber dann führen sie ja quasi Slebstgespräche…) Immer häufiger kommt es jedoch vor, dass RedaktuerInnen Selbstversuche starten, in dem Bestreben dem Konsumenten einen möglichst authentischen Eindruck zu vermitteln, wie z.B. in der WAZ (http://www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/unterwegs-als-flaschensammler-wie-fuehlt-sich-das-an-id7066940.html). Darüber haben sich SammlerInnen mir gegenüber von sich aus beschwert.
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Der neueste Trend ist solch eine Selbstversuchsberichterstattung als Fernseh- oder Rundfunkbeitrag. Insofern können Printmedien wohl als innovativer angesehen werden. Das mein ich bloß nicht positiv.
Zurück zum Artikel. Ich war ziemlich wütend, aber um ne halbwegs sinnvolle Kritik zu geben, musste ich natürlich diesen Erguss auch lesen. Ich hatte wirklich Lust dem oder der RedakteurIn seine Gedankenlosigkeit um die Ohren zu hauen, aber es stellte sich heraus dass dort eine Arbeitsmarktstudie des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik (Ibus) (lustigerweise an der Grüne-Wiesen-FH direkt neben meiner Heimatsatdt beheimatet, anyhow) widergegeben wird und sich die dort gezogenen Schlüße sogar sehr gut mit meinen Ergebnissen und Folgerungen treffen. Der_die Verantwortliche geht natürlich nicht auf das Flaschensammeln an sich ein, aber ich musste ja auch sehen, dass das nicht der einzige Zuverdienst von Menschen mit zu wenig Geld und ohne Perspektive ist. Bei diesen 435.000 Menschen handelt es sich der Studie zufolge “um den ‘harten Kern’ der erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen, die keinen Zugang mehr zu einem normalen Arbeitsverhältnis bekommen würden”. Die Studie scheint also, als Teil einer quantitativen Herangehensweise an Armut, Ausgrenzung und schlicht Hoffnungslosigkeit zu sein. Was aber bedeutet das für die betroffenen Menschen? Sowas können Zahlen nur begrenzt widergeben, weshalb ich explorative und damit qualitative Sozialforschung in diesem Bereich für so wichtig erachte. Vergessen werden zumindest die mit diesem Personenkreis verbundenen Kinder und Jugendlichen nicht und es wird prominent Hartz-IV, die aktuelle Sozialgesetzgebung und deren behördliche Ausführung angesprochen. Nichts außergewöhnliches in dieser Art von Berichterstattung, aber immerhin!
Alles gut also? Nicht ganz. Ich frage mich immer noch, warum genau dieses Symbolbild benutzt worden ist. Es geht nicht am Kern des Themas vorbei, es passt sogar halbwegs. Aber Flaschensammeln als soziales Phänomen ist zu einem Code geworden, den jeder sofort zu verstehen glaubt. Im Laufe der Abschlussareit habe ich mehr als ein Vorurteil, von denen ich viele selbst lange gepflegt habe, wanken und einstürzen sehen. Den SammlerInnen sind diese Stereotype und Vorurteile natürlich mehr als bekannt. Sie reagieren darauf oder versuchen sie zu ignorieren, aber letztlich werden sie in eine Schublade gesteckt, die einfach nicht zutrifft und gegen die sie sich meiner Ansicht nach kaum wehren (können). Überdies tragen solche Bilder dazu bei diese Vorstellungen zu verfestigen. Warum also dieses Bild für diesen Artikel? Die Anfrage an SpOn wurde bisher nicht beantwortet, wundert mich allerdings auch nicht. Das interessante ist, dass dieses Bild von AP auch “andernorts” verwendet wird, zum Beispiel bei tagesschau.de ( http://www.tagesschau.de/inland/datenreport104.html ). Auch da dient es dazu, Altersarmut zu veranschaulichen.
Handelt es sich also um den gedankenlosen Gebrauch von Symbolbildern? Ja,
Ist es nachvollziehbar warum das so gehandhabt wird? Ohne tiefere Einblicke in den Journalismus zu haben, wird es dennoch nachvollziehbare Gründe geben, Bilder von FlaschensammlerInnen als Symbol für (Alters-, Kinder-, Arbeitslosen-,) Armut zu verwenden. Und sei es nur, weil die Zeit für eine bessere Recherche fehlt. Nachvollziehen heisst jedoch nicht gutheißen.
Wo ist das Problem, wenn es dich doch um Armut dreht, warum ist das gedankenlos? Das Problem ist die einseitige Darstellung dieser Menschen als Opfer. Klar sind sie den ausgrenzenden und ausbeuterischen Strukturen unserer Gesellschaft (und von uns selbst) besonders ausgesetzt. Bloß gewöhnt man sich zusehends an diese Bilder, genauso wie wir uns schon lange an ihren Anblick auf den Straßen und Plätzen der Städte gewöhnt haben. Der häufige und in so vielen verschiedenen Zusammenhängen stattfindende Gebrauch dieser Bilder stumpft letztlich ab. Zurück bleibt das vage Gefühl, dass hier was falsch läuft. Aber was soll man schon machen, wenn eh schon alle Gesellschaftsschichten betroffen sind? Zurück bleibt “Opfer”, “Schmarotzer” “Penner” und eine (gefühlte) Hoffnungslosigkeit, die jeden Gedanken daran, dass sich etwas ändern könnte, überwältigt.
Im letzten Teil meines Vortrags, der Teil, in dem auch das Auditorium zu Wort kommt, wurde ich gefragt, ob ich denn Initiativen wie pfandgeben.de oder pfand-gehört-daneben gut finde oder ob ich davon abraten würde, SammlerInnen indirekt-direkt zu unterstützen. Ich musste einen Moment überlegen, es ist eine mehr als berechtigte, ja sogar eine gute Frage, die mir selbst lange durch den Kopf ging.
Zuerst würde ich jedem raten, Pfand SammlerInnen zugänglich zu machen. Es ihnen vorzuenthalten ändert rein gar nichts an deren Situation, ausser man glaubt daran, dass man eine Gruppe (die sowieso inhomogen und fragmentiert ist) nur schlecht genug behandeln muss, damit sie irgendwann den Aufstand probt. Das empfinde ich allerdings als menschenverachtend.
Wenn man es beim Pfandspenden bewenden lässt kann man sich hingegen relativ günstig und nebenbei ein gutes Gewissen erkaufen. So man jedoch schon die … Großherzigkeit … besessen hat, einem Menschen auf anonyme Weise Geld zu spenden, fällt es aus meiner Sicht schwer, nicht die Konsequenz zu besitzen, sich mit den größeren Zusammenhängen zu beschäftigen und zu versuchen, etwas im größeren Maßstab zu verändern. Und damit meine ich nicht, einen Kasten Pfand vor die Tür zu stellen, sondern politisch, zivilgesellschaftlich und so weiter und so fort. Insofern ist auch dieser Post, so wirr und krude er auf mich wirkt, auch als erster Anstoß für mich zu sehen, etwas mehr zu tun.
Dies ist vermutlich einer der aus meiner Sicht besten Gründe, dass ich diesen Blog gestartet habe. Ich wollte nach der Abgabe das Thema nicht einfach sich selbst überlassen, ich möchte hier weiter etwas tun. Was das genau sein wird, jenseits des Textproduktion, sei vorerst dahingestellt.
Gute Nacht!