Als im Frühjahr 2020 die Nachricht bekannt wurde, die USA – in Form des hierzulande eher ungeliebten Ex-Präsidenten Trump – wollten das Pharmaunternehmen Curevac kaufen, erregte das die Gemüter im ganzen Land. Die Empörung erreichte höchste politische Kreise. Wirtschaftsminister Altmaier verlautbarte, “Germany is not for sale!”. Außenminister Maas stellte fest, dass “[d]eutsche Forscher […] führend an der Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen beteiligt [sind], in weltweiten Kooperationen. Wir können nicht zulassen, dass sich andere ihre Forschungsergebnisse exklusiv aneignen wollen.“ (https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-corona/2318884)
Dietmar Hopp als damaliger Curevac-Mehrheitseigner hielt es für ausgeschlossen “dass eine deutsche Firma den Impfstoff entwickelt und dieser in den USA exklusiv genutzt wird.” (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/curevac-hopp-coronavirus-1.4847048)
Es folgten übliche Dementis und Statements und der Fokus der Aufmerksamkeit zog weiter. Doch bleibt die Frage, woher diese Aufwallung patriotischer, nationaler Inbrunst her rührte. Etwas ganz ähnliches habe ich während meines Studiums in Bochum erlebt. Von dort verlegte NOKIA sein Werk 2008 nach Rumänien, worauf Boykottaufrufe das gesamte politische Spektrum einten. Der Konzern ging wenige Jahre später unter, ohne dass diese Episode größeren Anteil daran gehabt hätte. Zurück ins Jahr 2020, in dessen Verlauf ich Artikel, Tweets, Nachrichtensendungen und Reportagen gesammelt und durchforstet habe, um mich diesem Gefühl rechtschaffener Empörung, für das inzwischen der Begriff Imp-Nationalismus geprägt worden ist, zu nähern
Die Vorstellung, bei einem Impfstoff handele es sich um ein nationales Gut, stellt sich inzwischen als weit verbreitetes Sprachbild dar. In Deutschland z.B. gilt das erste zugelassene Vakzin als ein Biontech-Pfizer-Produkt. Dies wurde spätestens virulent (haha), als Biontech und Pfizer eine Wirksamkeit von über 90%, wenige Tage später sogar von 95% vermeldeten und eine Zulassung bis Ende des Jahres in Aussicht stellten. Curevac, das bis dahin medial deutlich präsenter gewesen war, trat ins zweite Glied.
Ich finde die Stellung des Mainzer Unternehmens im Sprachbild “Biontech/Pfizer” spannend, signalisiert dies doch das relevantere Unternehmen in dieser Kooperation. Die Ärzte-Zeitung titelt am 23.12. z.B. folgendermaßen:
Das klingt natürlich harmlos, denn irgendwer muss in solch einer Kooperation ja zuerst genannt werden. Auch die eher faktenorientrierte Seite gesundheitsinformation.de überschreibt einen umfangreichen Artikel der zuletzt am 23.12. aktualisiert wurde in diesem Duktus.
Doch auch die Öffentlich-Rechtlichen mit einem weniger fachspezifischen Publikum als die ersten beiden Informationsangebote orientieren sich daran: Der NDR z.B. ist sich am 21.12.2020 schon sicher, nur mit dem Sprachbild “Biontech/Pfizer” klarstellen zu können, worum es im darunter stehenden Artikel geht.
(https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama_die_reporter/Biontech-Pfizer,biontech100.html)
Im Artikel wird Pfizer nur ein einziges Mal zuerst genannt, als es um eine weitere Bestellung durch die US-Regierung geht. Ansonsten herrschen Formulierungen wie die folgende vor: “Das Mittel des Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer ist im Dezember als erster Corona-Impfstoff in der Europäischen Union zugelassen worden.” Journalistische korrekt weist der NDR am Ende des Artikels eine Kurzinformation zu beiden Unternehmen aus. Auch hier wird Biontech zuerst genannt.
Das ZDF dockt ebenso an die Vorstellung des Impfstoffes an, den Biontech entwickelt hat. Pfizers Rolle bleibt in diesen Artikeln meist unklar, sie sind “die Partner” der Deutschen.
Tatsächlich ist Pfizers Rolle eklatant wichtig, wie inzwischen auch deutsche Politiker erkennen müssen, die die geringen Mengen die Deutschland zur Verfügung stehen beklagen. Denn sie besitzen die Produktionskapazitäten und das Know-How den Impfstoff schnell in ausreichenden Mengen herzustellen – und das seit Monaten. Wie Ugur Sahin, Vorsitzender und Mitgründer von Biontech kürzlich anmerkte, dauert es eher Monate als Wochen, die Produktion zum Laufen zu bringen (https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/impfstoff-produktion-mehr-dosen-alles-andere-als-trivial,SKqqs04) . Nicht umsonst steigt Biontechs erstes eigenes Werk, die von Novartis gekauften Marburger Behringwerke erst Anfang 2021 in die Produktion mit ein (hier https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/mainz/biontech-impfstoff-lieferung-mittwoch-100.html sowie hier auf der dazu einberufenen Pressekonferenz im November 2020, was darauf hinweist wie lange das schon bekannt gewesen war: https://player.admiralcloud.com/?v=c87df55d-1cf4-4398-8724-b4908d678b8d). Mit diesen Informationen erscheint die amerikanische Sicht auf das Vakzin, der angebliche Kauf oder das Abwerben von ExpertInnen und Wissen Curevacs gar nicht mehr so seltsam. Es ist bloß die andere Seite derselben Medaille und ein Hinweis auf die Komplexität unserer Gesellschaft(en). Aber ich greife vor.
Über die letzten Monate sprechen Berichte deutscher USA-KorrespondentInnen immer wieder davon, dass es in den Vereinigten Staaten genau andersherum sei. Dort wird der Impfstoff als Pfizer-Vakzin wahrgenommen, in dieser Begrifflichkeit wird darüber gesprochen, geschrieben und berichtet. Zuerst fiel mir dies in der Late Night Show auf, als Stephen Colbert den Begriff benutzte. Verena Bünten weist expliziter auf diese beiden parallelen Perspektiven im Weltspiegel hin. “Der Impfstoff von der deutschen Firma Biontech, mit dem Partner Pfizer. Hier in Michigan wird er produziert. Von den Amerikanern wird er als US-Impfstoff wahrgenommen, und die Deutschen als Partner.” (https://www.youtube.com/watch?v=aDw8mlUg0pE 1:38 – 1:48)
Solcherlei Sichtweisen – hüben wie drüben – (sie spiegeln auch einen Diskurs wider) bedeuten jedoch nicht zwangsläufig, dass AmerikanerInnen den Impfstoff exklusiv für sich und ihre eigenen Landsleute verwendet sehen wollen. Sie sind vornehmlich stolz auf ihren Beitrag zu einer internationalen wenn nicht sogar globalen Anstrengung gegen Covid-19. Auch dies dokumentiert Bünten in ihrem Beitrag als sie vor dem Pfizer-Werk wartende Menschen interviewt: “[Sie] wollen dabei sein wenn die erste Lieferung des rettenden Impfstoffs rausgeht. “Diese LKW zu sehen, das hat mir Gänsehaut gemacht. Zu wissen, dass wir der Welt helfen. Als das erste Frachtflugzeug abhebt, löst auch das große Gefühle aus.” (https://www.youtube.com/watch?v=aDw8mlUg0pE 2:06 – 2:20) Unterhalb der Mondlandung gibt es für eine andere interviewte Zuschauerin von Büntens Beitrag keinen passenden Vergleich. Mancher mag diese prätentiöse Haltung als typisch amerikanisch empfinden. Amerikaner redeten viel wenn der Tag lang ist, für sie sei alles brilliant, great, perfect. In Deutschland zählt, dass der Impfstoff in Deutschland entwickelt wurde – ebenso wie die grundlegende wissenschaftliche Theorie dahinter. Doch wer sich auf die Biontech-Website verirrt findet bei den Standorten auch einen in Cambridge und einen in San Diego, beide USA, beides Forschungsstandorte. Was aus deutscher Sicht als deutsches Unternehmen erscheint, hat sich längst internationalisiert. In anderen Ländern ist dann der Sprachgebrauch auch eher uneinheitlich. In englischen Zeitungen und Regierungsdokumenten dominiert die Schreibweise Pfizer/Biontech, in Frankreich findet man auf Webseiten des Gesundheitsministeriums beide Schreibweisen. Und doch ist das Phänomen das ich hier beschreibe kein exklusiv Deutsches. Als kurz vor dem Jahreswechsel Boris Johnson die Zulassung des Astra-Zeneca-Impfstoffs auf Twitter kommentierte, lobte er ganz explizit die britische Wissenschaft.
AstraZeneca ist ein klassisches multinationales Konglomerat das 1999 aus der schwedischen Astra AB und Zeneca entstand. Letztere war zuvor Teil der der Imperial Chemical Industries, das große Teile des 20. Jahrhunderts zum industriellen Stolz des “Empires” gehörte. Der Hauptsitz der heutigen AstraZeneca befindet sich im britischen Cambrigde. Die Entwicklung und Forschung konzentriert sich allerdings auf eine Stadt in der Nähe der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Soviel zum Thema britische Wissenschaft (Nachtrag: Die Universität Oxford ist auch beteiligt.).
Wer also prägt den Diskurs zu Corona und den Impfstoffen hierzulande? Bisher erscheint es, als wären es vor allem PolitikerInnen, die die Vorstellung nähren, da handele es sich um einen vornehmlich deutschen Impfstoff, an dem sich das amerikanische Pfizer bloß irgendwie beteiligt habe. Nachdem ich dies alles schon geschrieben habe kommt ein Akteur, wie seine Partei insgesamt, verspätet in den (Diskurs-)Arena – Lars Klingbeil.
Per Kurznachrichtendienst Twitter stellt er empört fest, dass es nicht angehen könne, zu wenig Impfstoff in dem Land zur Verfügung zu haben, in dem der Impfstoff erforscht wurde. Dass es da keinen logischen Zusammenhang gibt, geschenkt. Dass es zu diesem Zeitpunkt bereits allgemein anerkannt ist, dass die Fabrikation des Impfstoffs keine Lappalie ist, egal. Statt europäischer Solidarität eine nationale Kraftanstrengung. Und das aus der SPD. Wenn wir uns aber anschauen, wie auch die Medien den Diskurs befeuern, versteht man vielleicht, welche Logik hinter der Forderung des SPD-Generalsekretär zu diesem Zeitpunkt stand.
Denn gerade als ich diesen Artikel über Weihnachten verfasse haut der – nicht für seine Subtilität bekannte, stellvertretende BILD-Chefredakteur Paul Ronzheimer folgenden Tweet raus.
Im Vergleich zu allen hier zu Wort gekommenen Politikern drückt es Ronzheimer nur etwas krawalliger, spalterischer aus,was in vielen Industrienationen über den ganzen Globus verteilt existiert. Ein Stoff der hohen materiellen und/oder symbolischen Wert besitzt, gehört einem bestimmten Staat, seinem Volk oder seinen FührerInnen. Und je nachdem, wie die Beziehung zu diesem wertvollen Stoff aussieht, reklamiert man dann eben die Erfindung, die Entwicklung oder die Fähigkeit es in industriellem Maßstab herzustellen als relevantes Argument, dass es prinzipiell dem eigenen Volk zusteht.
Nun mögen viele erleichtert sagen, dass es ja nunmal die BILD sei, bzw. Ihr stellvertretender Chefredakteur. Das steht ja nicht mal in der gedruckten BILD. Aber es geht mir hier auch gar nicht um die Kritik einzelner AkteurInnen, sondern um das Aufzeigen eines bestimmten Diskurses. Die BILD ist hier eher ein Symptom für ein größeres Problem. Und wie meine Nachweise hoffentlich gezeigt haben, ist Impf-Nationalismus bloß das nächste populistische Vehikel mit dem Populäre und Demagogen glauben an eine vermeintlich weit verbreitete Überzeugung an die eigene, nationale Überlegenheit andocken zu können.
Wem aber gehört nun der Impfstoff, wie soll man ihn bezeichnen? Ich dachte eine Weile, es wäre am Ende sehr einfach, denn in allen Tagesschau-Berichten in denen Ampullen des Vakzins gezeigt wurden, sah es so aus:
Vermeintlich eine klare Sache. Eine einfach Bildersuche über Google zeigt aber, dass es auch anders beschriftete Fläschchen gibt: https://www.hessenschau.de/wirtschaft/biontech-impfstoff-eine-eiskalte-logistische-herausforderung,biontech-logistik-marbburg-impfzentren-100.html
Auch die Hersteller sind sich am Ende über den Sprachgebrauch nicht einig. Sie hängt vermutlich eher davon ab, wo die jeweilige Charge hergestellt worden ist. Und es mag überraschen, aber es gibt eine Menge Produktionsstandorte. Biontech alleine wird mit dem Marburger Werk ab Februar an drei Standorten – Mainz und Idar-Oberstein produzieren bereits – herstellen. Hinzu kommen in Deutschland vier weitere an der Produktion beteiligte Unternehmen: Dermapharm, die angekündigt haben ihre Produktion verdoppeln zu wollen (https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/markt/corona-impfstoff-dermapharm-will-kapazitaet-verdoppeln/), Siegfried (https://punkt4.info/social-news/news/siegfried-ag-partizipiert-am-corona-impfstoffgeschaeft.html), Polymun (die nicht das Endprodukt aber einen zentralen BEstandteil verantworten https://www.derbrutkasten.com/polymun-covid-19-impfstoff-biontech-pfizer/) und Rentschler, die neben kleinen Chargen des Vakkzins auch Dienstleistungen für die Produktion anderer Hersteller liefern (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/117235/Rentschler-Biopharma-SE-reinigt-Impfstoffkandidaten). Zumindest was die “Nationalität” des Impfstoffes angeht, ist die Welt also gespalten. Das ist erstmal eine recht simple Feststellung die nur zum Problem wird, wenn es dazu benutzt wird, nationale Identitäten gegeneinander auszuspielen. Sie verdeckt aber auch eine unangenehme Seite unserer modernen Welt die gerade zu Anfang der Pandemie offenkundig wurde und die ich als Soziologe vielleicht als paradoxe Dialektik bezeichnen würde. Denn das Virus konnte eine pandemische Lage nur aufgrund der internationalen Verflechtungen, der schnellen und günstigen und millionenfach genutzten Reisewege. Und als Schutzmittel knapp wurden, fiel den Menschen in unseren Überflussgesellschaften auf, dass ihr Wohlstand zu einem Gutteil auf günstigen Produktionsketten beruht, die auf einmal von Lockdowns und nationalen Alleingängen unterbrochen wurden. Aber gerade diese globalisierte Welt ist auch eine des Austauschs und der Kooperation. Eine Welt in der eine Idee in der viel gescholtenen deutschen Forschungslandschaft im Jahre 2000 erstmals formuliert wurde 20 Jahre später Rettung für Millionen bedeuten kann. Aber das kann sie eben auch nur, weil Labore und Fabriken über die ganze Welt verteilt Forschung, Entwicklung und Produktion übernehmen. Jedes Land, vielleicht bis auf die mit den größten Binnenmärkten und vorhandenen Produktionskapazitäten, wäre für sich alleine überfordert oder würde es zumindest nicht annähernd so schnell schaffen große Mengen an Impfstoff für seine Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen. Der Großteil der Weltbevölkerung, ja nicht einmal der europäischen, hat dieses Privileg nicht. Gerade in Deutschland sollten wir also vorsichtig sein, wie sehr wir auf “unsere” Leistung diesen Impfstoff entwickelt zu haben, pochen.
Nachschub: Nachdem ich diesen Text ein paar Tage habe ruhen lassen, haben Bayer und Curevac, mit denen mein Artikel begann, angekündigt bei der Zulassung ihres Impfstoffes zu kooperieren (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/119921/Bayer-Kooperation-Curevac-hofft-auf-Zulassung-seines-Impfstoffs-im-Sommer). Das ist keine kleine Nachricht, handelt es sich bei Bayer doch um Deutschlands größten Pharmakonzern. Es gibt bloß einen Schönheitsfehler, der in ersten Artikeln übersehen wurde. Der Bayer-Konzern hat keine sonderliche Expertise in der Impfstoffproduktion. Ein zur Impfstoffproduktion womöglich geeignetes Werk in Wuppertal verkauften die Leverkusener Ende 2020 an eine chinesische Firma. Dementsprechend prüft Bayer auch derzeit bloß, ob und wie sie neben Zulassung und Vertrieb auch bei der Produktion helfen können. Die Kooperation sei der von Biontech und Pfizer zwar ähnlich, eine Produktion in einem amerikanischen Bayer-Werk wird angedacht (https://www.dw.com/de/curevac-sucht-kooperation-mit-bayer/a-56155000). Bis Mitte des Jahres werden wir uns gedulden müssen, was aus dieser Kooperation geworden sein wird.